Jeder Mensch hat Sorgen. Oft sind es Kleinigkeiten, die uns bedrücken. Viele Sorgen sind ja unbegründet. Aber es gibt auch Sorgen, die einen schwerwiegenden Hintergrund haben. Das gilt für den öffentlichen Bereich und mehr noch für das persönliche Leben. Es wäre töricht und ein großes Missverständnis zu meinen, wir sollten uns um nichts mehr kümmern, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Es gibt ja tatsächlich Zeitgenossen, die eine außerordentliche Fertigkeit entwickelt haben, problematische Dinge einfach treiben zu lassen. Ich denke an junge Leute, die sich über die Zukunft keinen den Kopf zerbrechen und ihre Ausbildung nicht ernst nehmen. Eines Tages stehen sie vor ihrem Leben wie vor einem Trümmerhaufen. Nein, diese Art von Sorglosigkeit ist keine Hilfe. Auch im politischen Bereich gibt es berechtigte Sorgen, wenn wir auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen blicken. Wir erwarten von den Verantwortlichen, dass sie das Richtige tun. Und auch im persönlichen Leben sind wir gut beraten, wenn wir uns um unsere Gesundheit und unser Einkommen kümmern und rechtzeitig entsprechende Vorsorgen treffen.
Als Petrus diesen Brief schrieb, hat er sich wohl an die Worte Jesu aus der Bergpredigt erinnert, die wir in der Lesung des Evangeliums gehört haben. Dasselbe Thema: Sorget nicht. Wir verstehen diese Worte „Sorget nicht“ richtig, wenn wir sie von folgendem Satz aus betrachten: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“ Unsere erste und wichtigste Sorge soll darin bestehen, dass wir die Verbindung zu Gott halten. Wir sollen uns bemühen, bei ihm zu sein. Petrus erinnert uns an unsere Berufung, Gottes unverlierbares Eigentum zu sein und zu bleiben. Dazu wird Gott uns helfen. Trotz mancher Bedrohungen, trotz möglicher Leiden wird er uns – und das sind jetzt außerordentlich schöne Worte: „aufrichten, stärken, kräftigen und gründen.“
Ich möchte von einem Menschen berichten, der diese Ermutigung in Krankheit und Leid erfahren hat: Vor kurzem erschien ein bewegendes Buch von Johannes und Eva-Maria Holmer über das Leben und Sterben ihrer Tochter Lydia, mit Spitznamen „Puschel“ gerufen. Sie war die Enkelin des bekannten Pastors Uwe Holmer, der das Ehepaar Honecker während deren Obdachlosigkeit beherbergte. Puschel war ein fröhliches, aufgeschlossenes, gläubiges Mädchen, dem Leben und den Menschen zugewandt. Unter anderem arbeitete sie für Kinder in Südamerika. Als sie 23 Jahre alt war, bekam sie einen bösartigen Tumor im Beckenbereich, der sie körperlich quälte, sie seelisch belastete und ihren Glauben auf eine ernste Probe stellte. Trotz intensiver ärztlicher Bemühungen hat sie nicht überlebt. Nach 5 Jahren Kampf ist sie mit 28 Jahren verstorben.
Aber gerade diese Zeit der Krankheit und des Leidens war geprägt von Glauben und Vertrauen in Gottes Güte. Nie hat sie daran gezweifelt, dass Gott es letztlich gut mit ihr meint. Nie hat sie ihr Vertrauen ihm gegenüber aufgekündigt. Immer wieder, trotz der vielen Einschränkungen, die sie hinnehmen musste, blieb ihr Zeugnis unbeirrt in seiner Grundaussage: „Gottes Plan ist perfekt“. Und so lautet auch der Titel dieses lesenswerten Buches: „Ich weiß, dass Gottes Plan perfekt ist“. Als ihr während einer Chemotherapie die Haare ausfielen und sie sich mit dem irdischen Ende konfrontiert sah, schrieb sie ihren Freunden: „Ich weiß besser als zuvor: Wenn ich gehen muss, dann darf ich an einen noch viel besseren Ort gehen. Denkt jetzt aber bitte nicht, dass ich vom Leben müde wäre. Ich wollte euch nur etwas von dem Frieden mitteilen, den ich habe, und dass sich nichts zwischen meinen Herrn und mich stellen kann.“ Gibt es eine schönere und gültigere Auslegung dieses Satzes: „alle eure Sorge werfet auf ihn, denn er sorgt für euch.“?
Ja, es gibt es im Leben schwere Dinge: Krankheitsnöte tauchen unerwartet auf, politische Krisen brauen sich wie Gewitter zusammen, Kriege zerreißen die Gemeinschaft der Völker, Flucht und Verfolgung sind mittlerweile alltägliche Bilder, die in unsere Wohnzimmer stürmen. All das kann uns tiefe Sorge bereiten. Das kann soweit gehen, dass wir an Gottes Güte, ja sogar an seiner Existenz zweifeln. Was steckt dahinter? Petrus identifiziert solche negativen Gedanken. Es ist Gottes Widersacher: Der Teufel. Können wir das als moderne, aufgeklärte, moderne Menschen heute noch so sagen? Wir haben es lange nicht für möglich gehalten, dass jemand Interesse daran hat, uns und der ganzen Menschheit zu schaden. Da gibt es diebische, ja teuflische Freude an Zerstörung, an Hass, an Gewalt, an Gemeinheit an Tod und Vernichtung von Leben. Klingen da die Worte des Petrus nicht doch zeitgemäß, wenn er vom Teufel spricht als von einem brüllenden Löwen, der ständig auf der Suche ist, seine Opfer zu verschlingen? Ist das nicht ein gutes Bild für die Macht des Bösen? Und gibt es auf diese Angriffe des Bösen eine Antwort? Ja, die gibt es! Hier ist sie: „Dem widersteht, fest im Glauben.“ Wir sind dem „brüllenden Löwen“ nicht hilflos ausgeliefert. Wir können auf seine Angriffe mit einem entschiedenen „Nein“ reagieren. Wir ergreifen die Waffenrüstung Gottes und setzen uns zur Wehr. Und wir erringen mit Gottes Hilfe Siege.
Nun spricht Jesus aber nicht nur über die letzten und schwersten Dinge, die das Leben für uns bereit hält. Er nimmt auch den Alltag in den Blick: Essen, Trinken und Kleidung. Wie Recht hat er, wenn er in anschaulichen Bildern aus der Natur uns vor Augen hält, was im Leben an erster Stelle stehen muss und was zweitrangig ist. Dabei dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott uns wie ein liebender Vater begegnet, unter dessen Schutz und Fürsorge wir leben dürfen. Paulus hat es später einmal so in Worte gefasst, dass letztlich alle Dinge zu unserem Besten dienen müssen. Das lässt unsere Sorgen nicht einfach verschwinden, aber sie werden durch dieses Vertrauen sozusagen „relativiert“. Vielleicht kennen Sie diese Situation. Sie liegen auf dem Krankenbett und warten auf den kommenden Morgen, an dem Sie operiert werden. Sie sind voller Sorge, ob das gut ausgehen wird. Wie schön und tröstlich ist es dann, wenn wir alles, was uns in diesem Augenblick bewegt, was uns Angst und Sorge bereitet, unserm Gott anbefehlen und beten können mit ähnlichen Worten, wie Jesus sie am Kreuz gefunden hat: „In Deine Hände lege ich mein Leben. Ich weiß, Du bist bei mir, und ich werde ganz gleich, wie die Sache ausgeht, Dein Eigentum bleiben.“
Zum Glück sind die meisten Sorgen, die wir uns machen, unbegründet. Die meisten Operationen gelingen. Viele Ängste sind gar nicht äußerlich begründet. Sie sind in unserem Inneren entstanden. Dort, wo Frieden und Vertrauen herrschen sollten, in unserem Herzen, da beginnen sie ihr Unwesen zu treiben. Da hilft es nur, das Fenster unserer Seele zu öffnen und Gott mit seinem guten Geist herein zu bitten. Goethe hat im Faust die Sorge, die uns quälen kann, treffend charakterisiert: „Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu, sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen, als Feuer, Wasser, Dolch und Gift; du bebst vor allem, was nicht trifft, und was du nie verlierst, das musst du stets beweinen.“ So sieht es aus, wenn der Sorgengeist sich breit macht. Darum ist es so wichtig, dass wir dem Wirken Gottes in unserem Leben Raum geben. Dann werden alle anderen Dinge in eine neue Ordnung gebracht. Alle menschlich verständliche Sorge, jede kreatürlich Angst sind dann eingebettet in die Sorge Gottes, die er um uns hat. Und es gibt noch einen guten Rat, wie man richtig mit den Sorgen umgeht: Bei unseren Veranstaltungen für blinde und sehbehinderte Menschen trat immer wieder ein blinder Sänger auf, der das bewegende Lied von Dora Rappard vortrug, aus dem ich zwei Strophen zitieren möchte: Hast du eine Sorgenlast, die dir raubet Fried und Rast, Jesu Herz dir offen steht: Mach aus Sorgen ein Gebet! / Was dein Herze auch bewegt, ob sich Schmerz, ob Wonne regt, flieh zu Jesus früh und spät, mach aus allem ein Gebet!
Mit der Sorge richtig umzugehen bedeutet also nicht, sich einem schlichten Optimismus zu verschreiben, der uns einredet: „Es ist alles halb so schlimm.“ Nein, die Zeiten, die uns bevorstehen, können ja wirklich schrecklich sein, die Nöte können groß und schier unüberwindlich sein. Nein, das Gegenüber der Sorge ist der Glaube an Gottes Güte. Dieser Glaube rechnet fest damit, dass ich in allen Ungewissheiten, vielleicht sogar scheinbarer Sinnlosigkeit, nicht ohne den himmlischen Vater bin. Alles, was mich auch an Schwerem treffen mag, muss vorher an seinen Augen vorüber und darf mich ohne seine Genehmigung nicht treffen und muss letztlich zu meinem Besten dienen. Eduard Möricke hat dieses Vertrauen in ein wunderbares Gebetswort gefasst, das ich Ihnen heute mit auf den Weg geben möchte: “Herr, Dir in die Hände, sei Anfang und Ende, sei alles gelegt”.