Letzte Woche Konfirmation. Jemand fragt mich, ob denn die Konfirmanden nichts mehr lernten: Psalmen? Lieder? Katechismus? Es stellte sich heraus, dass der Mann die Konfirmation, die „Einsegnung“, verwechselt hatte mit der „Prüfung“, dem Vorstellungs- oder Gesprächsgottesdienst, wo die Jugendlichen etwas zeigen und vorweisen aus ihrer Konfi-Zeit. Vielleicht hatte er das Gefühl, das Entscheidendere verpasst zu haben. Und auch jenes, dass früher eben doch alles viel besser war. Wussten nicht die Konfirmanden mehr, waren nicht die Pfarrer überzeugender, die Kirchen voller, die Lieder gewaltiger, die Stimmung besser, die Leute frömmer?
I.
Vor zwei Tagen erst wieder beschrieb die Zeitung, unterstützt durch entsprechende Bilder: wie schlecht der Kirchenbesuch ist, wie hoch die Austrittszahlen, wie schwierig, Ehrenamtliche zu finden, wie gefährdet in Zukunft die Haushalte. Wer sich seiner Kirche, seiner Gemeinde verbunden fühlt, kann durchaus Angst bekommen.
In dieser Stimmung beginnt auch unser Predigtabschnitt heute: alles nicht mehr wie früher. Da geht es um Eli, den alten Gottesmann im Tempel von Schilo. Seine Söhne haben sich abgesetzt. Sie sind für eine verantwortliche Tätigkeit wie die des Vaters nicht zu gebrauchen. Aber erfreulicherweise hat die Familienmutter Hanna ihren Sohn Samuel dem Tempel zur Erziehung und Ausbildung überlassen. Der Name des Kindes spiegelt die Hoffnungen seiner Eltern und all der Menschen, die mit dem Tempel in Schilo in Kontakt stehen. Samuel, genauer Schmu-El, bedeutet: Gott hört. An dieser Stelle setzt der biblische Predigttext für den Sonntag heute ein.
(Lesung des Predigttextes 1. Samuel 3,1-10)
Da wird einer zu Großem berufen und er merkt es nicht mal. Dabei scheint er ja mit Gottes Ruf zu rechnen. Er legt sich schon schlafen in die Nähe der Bundeslade, die die Gebotstafeln des Mose enthalten. Er ist schon ganz nah dran am Wort Gottes. Doch als er eine Stimme hört, läuft er zu seinem alten Lehrer und Erzieher Eli: „Hier bin ich. Was soll ich machen?“
Und Eli, der Weise, der Erfahrene, der Gottesmann, der ein Leben lang für sein Volk Israel den Kontakt zu Gott halten wollte, der schickt seinen Schüler Samuel oder Schmuel zweimal ins Bett zurück.
Dann aber gibt er dem Samuel den richtigen Rat. Und Samuel stellt sich dem Ruf Gottes. Gut, dass alles geklappt hat. Wenn wir einfach die Bibel hier weiterlesen würden, hörten wir viele Kapitel lang die Geschichten von Samuel. Er ist tatsächlich zu Großem berufen.
Einige in meinem Alter kennen die Geschichte vielleicht aus dem Grundschulunterricht kennen, aus dem „Schild des Glaubens“? Ich kann mich gut erinnern an mein Bild, dass ich zu Samuel und Eli gemalt habe. Jetzt ist die Geschichte neu aufgenommen, damit sie wenigstens alle sechs Jahre auch in den Sonntagsgottesdiensten eine Rolle spielen soll. Was haben wir von der Geschichte?
II.
Am Anfang heißt es: Gottes Wort „ist selten“ in dieser Zeit. Selten, offenbar aber nicht verstummt. Gott hält Kontakt auf eigene Weise. Vielleicht können das am besten genau jene nachvollziehen, die selbst gern auch mal auf Distanz gehen. Ihre eigene Sache machen. Aber sich ja keineswegs so verstehen, als hätten sie Beziehung abgebrochen. Gottes Wort ist „selten“! Ergeht es selten oder wird es selten wahrgenommen? Meinen wir, es sei selten oder sind wir selten zur Stelle? Beides ist denkbar. Beides prägt die Situation.
Und dann ein weiteres: Samuels, Schmuels Namen erinnert: Gott hört! Was wäre, wenn Gott uns umso intensiver zuhört, wenn wir eben gerade nicht Gottes Stimme hören? Wenn Gott schweigt, um tatsächlich uns zu hören, uns das Wort zu lassen. Was, wenn Gott schweigt, um sich auf uns einzulassen. Was für eine Hoffnung!
Zurück zur Geschichte. Da zeigt Gott ganz große Geduld. Ein-, zwei-, dreimal ruft er den eifrigen, aber unerfahrenen Samuel. Dreimal läuft Samuel vergebens, bevor Gott sich durchsetzen kann gegen den erfahrenen, aber ermüdeten und abgeschlafften Eli und muss es ein weiteres Mal versuchen. Das ist doch gute Botschaft. Gott lässt sich nicht abbringen. Nicht durch Schusseligkeit, Schwäche, mangelnde Orientierung. Was für ein Glück.
III.
Spannend, dass Gott sich diesen „Knaben“ wie es heißt, sich ruft, dieses Kind, diesen unerfahrenen Einsteiger, diesen Anfänger. Dazu hat Gott offenbar immer wieder den Mut. Er ruft sich den Jesaja, der von sich selbst sagt, er sei so unrein wie seine Leute, und Jesaja wird dann tatsächlich erst einmal kultisch gereinigt. Mose braucht Unterstützung beim Reden. Und der Prophet Amos hält ohnehin nicht viel von Spezialisten: Keine Wirkung ohne Ursache. WENN Gott redet, DANN tut sich auch was. Mit vielen anderen biblischen Gestalten, mit so vielen Menschen teilt der Prophet Amos die Erfahrung: Gott vertraut sich den Unvollkommenen an. Wenn das nicht immer wieder gute Botschaft ist. Und schließlich noch eine Wahrnehmung: Menschen brauchen einander. Und Menschen helfen tatsächlich einander.
Da ist der kleine Samuel. Samuel hat eine gewisse Ausbildung erhalten, aber er hat keine Erfahrung mit dem Ruf Gottes. Erst im Nachhinein kann er sagen: Das war doch jedes Mal schon Gottes Stimme. Da war ich schon gemeint. Im Nachhinein versteht er mehr. Im Nachhinein, nachdem auch Eli verstanden hat: sein Schüler hat längst richtig gehört. Er muss den Ruf nur noch richtig einordnen.
Eli bringt soviel Erfahrung mit. Da besteht die Gefahr, dass Routine sich einschleift. Zum Glück bleibt Samuel sich sicher: er ist gerufen worden. Es hört sich ein bisschen an wie die Geschichte, wo ein Blinder und ein Gelähmter gemeinsam unterwegs sind. Einzeln gehen sie verloren. Gemeinsam kommen sie ans Ziel. Samuel hört. Und Eli versteht. So ebnen sie einer neuen Zukunft den Weg. Für die nächste Generation. Für eine kommende Zeit.
Wenn das Wort Gottes selten ist. Gott umso intensiver zuhört. Gott Geduld hat. Sich den Unvollkommenen anvertraut. Und Menschen einander helfen, Gottes Wort zu verstehen.