Brauchen wir einen Tröster? Oh ja, den brauchen wir. Immer und immer wieder. Wenn wir uns verabschieden. Wenn wir einen neuen Weg gehen. Wenn wir etwas Neues wagen, dann sind wir froh, wenn jemand an unserer Seite ist: „Ich möcht’, dass einer mit mir geht”. Wir sind doch selbst immer wieder Tröster und Beistand und wissen ganz genau, wie wichtig das für die ist, die uns brauchen. Wir würden ein kleines Kind niemals alleine lassen, wenn es zum ersten Mal in den Kindergarten geht. Wir nehmen es fest an die Hand, sprechen ihm Mut zu, bleiben vielleicht auch noch ein Weilchen mit ihm zusammen im Gruppenraum der Gänsegruppe, oder der Bärengruppe oder der Pinguingruppe, ehe wir dann schweren Herzens den kleinen Kerl alleine lassen mit seiner Erzieherin und den vielen neuen, noch unbekannten Freunden. Ich möchte, dass einer mit mir geht! Wir würden einen ABC-Schützen an seinem 1. Schultag niemals alleine in die Schule gehen lassen. Es ist Ehrensache, dass Mama und Papa mitgehen, und Oma und Opa. Das einer die Schultüte trägt und dass die Eltern dem kleinen Kerlchen mit seinem funkelnagelneuen Schulranzen aufmunternd zuzwinkern, wenn er zum ersten Mal mit der neuen Lehrerin in den Klassenraum geht. Ich möchte, dass einer mit mir geht! Wenn ein Kind ins Krankenhaus muss: Natürlich muss da jemand mit. Wenigstens hinbringen und dabei bleiben, bis der Doktor kommt. Vielleicht sogar dort schlafen im gleichen Zimmer. Um die Angst zu nehmen, um zu trösten, um aufzuheitern. Ich möchte, dass einer mit mir geht! Das geht nicht nur den Kindern so!
Welcher Erwachsene wünscht sich das nicht auch: Jemanden bei sich zu haben, wenn es ernst wird? Das ist in schwierigen Situationen so genauso wie in schönen: Wenn man zum Arzt muss. Zu einer unangenehmen Untersuchung. Zu einem operativen Eingriff. Wie schön ist es, da jemanden an der Seite zu haben, der einem Mut macht, der mit einem erzählt, wenn man im Wartezimmer sitzt und die Unruhe im Herzen immer schlimmer wird: Ich möchte, dass einer mit mir geht! Wenn man auf Reisen geht. In eine fremde Stadt. Eine Strecke fahren muss, die man nicht richtig kennt. Wie schön ist es, wenn dann jemand dabei ist, der den Stadtplan in der Hand hält, das Navi programmiert und mir hilft, den richtigen Weg zu finden: Ich möchte, dass einer mit mir geht! Ja, sogar in Situationen, in denen ich fröhlich und glücklich bin, möchte ich jemanden an meiner Seite haben: Beim Abitursball, bei meiner Hochzeitsfeier, bei meinem Geburtstagsfest – wer feiert schon gern alleine? Wer sitzt schon gerne allein am festlich gedeckten Tisch, wer sing schon gern alleine fröhliche Lieder? Ich möchte, dass einer mit mir geht! Und besonders dann, wenn ich ganz verzweifelt bin: am Krankenbett oder am Sterbebett eines geliebten Menschen, auf den Friedhof. Wie gut ist es und wie tröstlich, wenn einer an meiner Seite ist. Ich möchte, dass einer mit mir geht!
Ein Tröster für die Jünger
Den Jüngern ging es ganz genauso. Jesus hatte ihnen angekündigt, dass für sie ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Bisher war er der Meister, der Leiter, der Lehrer – und sie nur die Hörenden, die Folgenden. Jesus sagte, was gemacht wird, er sagte, wo es lang geht. Er sagte, was richtig und was falsch, was gut und was schlecht ist. Und die Jünger haben mit offenen Augen, offenen Ohren und manchmal offenen Mündern daneben gestanden und gestaunt und gefragt und gehört und gelernt. Jetzt offenbart ihnen Jesus, dass er gehen wird. Zum Vater. Und dass sie nun selbst entscheiden müssen, was zu tun ist, wo es lang geht, was gut und was böse, was richtig ist und was falsch. Das macht den Jüngern natürlich Angst. Macht sie nicht nur traurig, sondern natürlich auch unsicher. Wie soll das jetzt weitergehen? Als Jesus sich von seinen Jüngern verabschiedete, waren sie verständlicherweise traurig, denn das Zusammensein mit Jesus hatte ihrem Leben ganz neue Perspektiven eröffnet: endlich hatten sie gelernt, über die Enge ihres Alltags hinauszusehen. Endlich waren sie davon überzeugt, dass ihr Leben auch jenseits von Fischerbooten und guten oder schlechten Fangquoten einen bleibenden Sinn hat. Endlich konnten sie tief in sich spüren und sogar darüber sprechen, dass sie sich bei Gott geborgen wissen, dass ihr Leben im Zeichen einer unendlichen Güte steht, die durch den zuweilen rauen Alltag hindurch zutragen vermag. Und wie geht das jetzt weiter? Wir wollen, dass einer mit uns geht!
Jesus redet von einem Tröster, von einem Beistand, der zu ihnen kommen und ihnen helfen soll. Er verspricht ihnen: Ihr, die ihr mich liebt, die meine Gebote halten, die sich an mir als Eurem Vorbild orientieren, ihr werdet nicht alleine bleiben, sondern einen Beistand haben, der Euch alles gibt, was ihr braucht: Liebe und Erkenntnis und Erinnerung und Kraft. Naja, mag man da denken. Einen Geist als Tröster. Was soll denn das sein? Ist das nicht eher eine Vertröstung als ein Trost? Ich bin im Geiste bei Euch – aber merkt man davon wirklich etwas? Jesus redet vom Trost und vom Geist der Wahrheit, der die Jünger stärken und trösten soll. Und im Stillen wird wohl schon der eine oder andere Jünger sich gedacht haben: Das wird nichts. Jesus will weggehen und uns „nur“ einen Tröster schicken? Ob uns das hilft?
Der Tröster ist gekommen
Aber: Wir können heute im Rückblick sagen: genauso ist es ja auch gekommen! Jesus ist zwar nicht mehr leibhaftig unter der verunsicherten Schar seiner Jünger, aber der verheißene Geist Jesu, den wir auch den heiligen nennen, kam. Er hat sie gestärkt und begeistert. Er hat sie mutig gemacht, vom Evangelium in aller Welt zu erzählen. Und er hat weitergewirkt. Er wirkt nun schon fast 2000 Jahre in dieser Welt, in den Herzen der Menschen, in ihrem Reden und Handeln. Was in dieser traurigen Abschiedsstunde noch keiner von den Jüngern wirklich zu hoffen wagte, ist eingetreten: das Leben ging weiter. Ganz anders zwar als erwartet, aber doch auch mit Sinn erfüllt. An Zahlen gemessen, sogar sehr erfolgreich – etwa ein Drittel der Weltbevölkerung bekennt sich heute zu diesem Jesus Christus – ob die Jünger damals so etwas wohl für möglich gehalten hätten?
Alle, die an dem verheißenen Tröster ihre ernüchterten Zweifel haben mögen, sollten zumindest aufgrund dieser beeindruckenden Entwicklung aufmerken. In Westeuropa oder in Nordamerika mögen wir es anders wahrnehmen und manchmal ein bisschen traurig in unsere spärlich besetzten Kirchenbänke schauen, aber das Christentum ist auch heute noch die nach absoluten Zahlen am stärksten wachsende Weltreligion. Dass dies ohne Gottes guten Geist möglich ist, wage ich zu bezweifeln, vor allem vor dem Hintergrund all der Krisen und Spannungen, Irrwege und Spaltungen, die die Geschichte des Christentums durch die Jahrtausende begleitet und ins Negative hin gekennzeichnet haben. Der den Jüngern verheißene Tröster, der Geist Gottes, der Geist der Wahrheit, ist in der Welt, auch wenn dem Augenschein nach vieles dagegen spricht, auch wenn die Welt ihn nicht immer und überall wahrzunehmen vermag.
Der Tröster ist immer noch hier
Für mich gibt es immer wieder einmal Momente, wo ich mir ganz sicher bin, dass Gottes Geist auch hier unter uns wirkt. Ich kann es nicht beweisen, ich kann es auch nicht ändern, wenn jemand diese Wahrnehmungen anders deutet. Aber aus dem Glauben heraus kann ich manches erspüren, was sich mir ohne meinen Glauben vielleicht so gar nicht erschließen würde. Denken Sie etwa an die Geschichte unserer Gemeinde. Von Anfang an, seit nunmehr fast hundert Jahren, kamen immer wieder Zweifel und Bedenken auf, wie lange diese Gemeinde wohl existieren könnte – zu wenig Mitglieder, zu wenig finanzielle Ressourcen, kein Nachwuchs, immer wieder auch Auseinandersetzungen über den Weg, den diese Gemeinde einschlagen soll. Das klingt nicht gerade nach einer Erfolgsstory. Und dennoch sind wir heute wieder gemeinsam hier und feiern als Gemeinde unseren Gottesdienst. Wir können dankbar auf einiges blicken, wir sind trotz aller Widerstände nicht stehen geblieben und haben dank unser aller Anstrengung eine lebendige Gemeinde hier in Horchheim/ Weinsheim. Doch sicher nicht nur dank unser aller Anstrengung, sondern vor allem, weil uns Gottes guter Geist durch all diese Jahre geführt und begleitet hat.
Gewiss, es könnte immer auch manches besser sein. All das wäre schon schön, aber es soll doch nicht darüber hinwegtäuschen oder die wunderbare Erfahrung kleinreden, dass wir uns zu allen Zeiten als Gemeinde getragen wissen durften von Gottes Gegenwart. Dass wir also genau das doch erlebt haben, was den Jüngern schon bei Jesu Abschied verheißen wurde: sie sollen nicht als Waisen zurückbleiben, sondern Christus wird allezeit an ihrer Seite sein. Christus, der den Seinen zum Trost zuruft: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben!” Dabei sollen wir uns immer wieder erinnern lassen!
Wenn wir als Gemeinde durch die Jahre gehen. Kinder taufen, Jugendliche konfirmieren, junge Paare trauen, Menschen im Vertrauen auf Gott bestatten, wenn wir als Gemeinde Feste feiern, Sponsorenläufe veranstalten. Wenn in unseren Chören gesungen wird, in den Kindergruppen gespielt wird, wenn die Pfadfinder sich treffen, wenn sich in der Nacht der Kirchen unsere Kirchen mit Leben füllen … dann sollen wir wissen und dankbar bekennen: hier sind nicht wir selbst am Werk. Sondern hier ist der Tröster am Werk. Der große Geist der Wahrheit und des Lebens, der unsere Gemeinde lebendig macht. Und wir selbst dürfen ein Teil dieser Gemeinde sein. Das ist etwas ganz wunderbares, für das wir gar nicht genug danken können.