Für uns Geschäftsleute ist Corona die Voll-Katastrophe, sagt der Vorstand des Schopfheimer Gewerbevereins. Voll-Katastrophe – das ist Karfreitag. Der Hoffnungsträger hängt am Kreuz. Alles aus. Das war’s. Ich weiß einfach nicht mehr, wie es weiter geht. Dieses Gefühl – manche kennen es. Manche haben ihre persönlichen Karfreitage schon erlebt. Da bricht eine Welt zusammen. Wenn Kinder erfahren, dass sie dieses Jahr nicht bei der Oma im Garten Eier suche können. Wenn die Ehepartnerin von ihrem Arzttermin zurück kommt mit einer lebensbedrohlichen Diagnose. Wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Und wenn immer klarer wird: Egal mit welcher staatlichen Unterstützung: Wir werden unseren Betrieb nicht halten können. Wie viele Welten sind in unserer Welt schon zusammen gebrochen. Wie viele persönliche Karfreitage erlebt.
Karfreitag, Vollkatastrophe – immer dann, wenn eine Situation eintritt, mit der ich mich einfach nicht versöhnen kann. Nicht versöhnen und nicht gewöhnen. Für das Kind finden die Eltern hoffentlich eine schöne Alternative zum Ostereiersuchen in Omas Garten. Andere Welten können nicht so schnell wieder aufgebaut werden. Und manche Menschen sterben unversöhnt mit ihrem Leben. Um Versöhnung geht es in unserem Predigtabschnitt. Der Tod Jesu am Kreuz wird im Zeichen der Versöhnung gedeutet. Wir hören die Verse des Apostels Paulus aus dem 2. Korintherbrief.
(Lesung Predigttextes)
Nein, Jesu Tod war keine Vollkatastrophe. Sagen wir. Jesus ist für uns gestorben. Am Kreuz ist uns die Schuld vergeben. Wir sind versöhnt mit Gott, sagt Paulus. Aber warum dann am Ende die Aufforderung: Lasst euch versöhnen mit Gott? Das klingt, als ob Widerstände zu erwarten wären. Als ob es gälte, Widerwillen zu überwinden: Jetzt kommt, lasst euch doch endlich versöhnen mit Gott. Sollte nicht jeder rufen: Ja klar, ich will der erste sein?
Auch ich muss mich versöhnen
Aber vielleicht ahnen die Menschen: Wenn Gott sich mit mir versöhnen will, dann muss ich mich ja auch mit Gott versöhnen. Und wenn ich mich mit Gott versöhne, dann müsste ich mich ja auch mit meinem eigenen Leben versöhnen. Mit all den Situationen, aus denen ich unversöhnt schied. Denn Gott war in Christus. So wie er vorher in der Mitte seines Volkes war. Wie er mitging in all die Situationen, mit denen sein Volk schwer zurecht kam – nach Babylon zum Beispiel, ins Exil. Genauso ging er mit in das Leiden seines Sohnes, das ihn zum Gefangenen machte in den Händen der Römer und in seinem eigenen Körper. Das wissen wir auch, wie sehr Schmerz und Leid einen zum Gefangenen im eigenen Körper machen können. Wir sind nicht mehr zuhause darin. Wie im Exil, fern der Heimat, die unser gewohntes Leben war. Dorthin geht Gott mit. Und dorthin sollen wir ihm folgen. Wollen wir das? Ihn dort in unserem Leben suchen, wo wir uns am allerwenigsten zuhause fühlen? Uns dort mit ihm versöhnen und damit mit unserem eigenen Schmerz? Ist das nicht etwas zu viel verlangt? Ist es dann nicht leichter, sich einfach von Gott die Sünden vergeben zu lassen?
Aber Versöhnung ist etwas anderes als Vergebung. Wenn ich jemandem vergebe, ist das einseitig. Einer vergibt und einem anderen wird vergeben. Versöhnung aber ist beidseitig. Zwei versöhnen sich miteinander. Da findet Gespräch statt. Merkwürdig: Trotzdem reden wir von Versöhnung auch dort, wo kein Gespräch stattfinden kann. Ich versöhne mich mit der Tatsache, dass ich jetzt alleine bin. Oder findet da doch Gespräch statt? Gespräch mit Gott? Mit dem Gott, der mich vor dieser schlimmen Situation nicht bewahrt hat? Aber noch mal zurück. Wer versöhnt hier eigentlich wen mit wem?
Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber. Merkwürdig. Normalerweise müsste es doch heißen: Gott versöhnt sich mit der Welt. Aber hier: Gott versöhnte die Welt mit sich selber. Nicht er sich mit uns, sondern er uns mit sich. Als ob er uns die schwere Aufgabe abgenommen hätte, uns zu versöhnen mit Gott – und mit allem, mit dem wir nicht zurecht kommen.
Versöhnung als Platzwechsel
Vergebung ist ja vielleicht doch nicht ganz so einseitig, wie es schien. Wenn jemand zu mir sagt: Ich vergebe dir, dann muss ich mich damit versöhnen, dass ich ihm Leid angetan habe. Das ist ja auch gar nicht so leicht. In der Sprache des Paulus bedeutet Versöhnung so viel wie Platzwechsel. Heute würden wir eher Perspektivwechsel sagen. Versöhnung gelingt, wenn ich aus meiner eigenen Perspektive heraus gehe und die Sichtweise des anderen annehme. Platzwechsel ist nur noch mehr als Perspektivwechsel. Weil es nicht nur um meine Sichtweise geht, sondern um meine Existenz.
Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber. Gott nimmt den Platz derer ein, die ihren persönlichen Karfreitag erleben. Die sich bestraft vom Leben fühlen. Es war ja nicht die Strafe Gottes, die auf Jesus lag. Es war die Strafe der Menschen. Er war der zu Unrecht Bestrafte, der allen Grund gehabt hätte. Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber. Gott nimmt den Platz derer ein, die ihren persönlichen Karfreitag erleben. Die sich bestraft vom Leben fühlen. Es war ja nicht die Strafe Gottes, die auf Jesus lag. Es war die Strafe der Menschen. Er war der zu Unrecht Bestrafte, der allen Grund gehabt hätte zu fragen: Warum? Gott nahm den Platz derer ein, die unversöhnt sterben müssen. Und den Platz derer, für die mit Jesu Tod eine Welt zusammenbrach. Und weil er dort ist, nicht nur mit seinem Blick, sondern mit seiner ganzen Existenz, darum wird Ostern.
Uns aber wird dadurch ebenfalls ein Platzwechsel zugemutet. Die kirchliche Tradition kennt die so genannten Improperien. Texte für den Karfreitag, in denen Gott sein Volk anklagt: Mein Volk, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt? Antworte mir. Aus der Knechtschaft Ägyptens habe ich dich herausgeführt. Du aber bereitest das Kreuz deinem Erlöser. So beginnt es. In Christus erkennen wir, wozu Menschen in der Lage sind – und zwar wir alle. Wir alle haben, laut oder leise, irgendwo unser Kreuzige geschrien. Wir tun es immer noch. Aber wir bräuchten es nicht. Seit Karfreitag bräuchten wir es nicht mehr.