Als Zehnjähriger besuchte ich sonntags regelmäßig den Kindergottesdienst, und mich faszinierte diese Geschichte. Die Story war geradlinig und auf den Punkt erzählt. Meinem Empfinden für Gerechtigkeit wurde Genüge getan. Der Erzähler belohnte vorausschauendes Handeln. Die törichten Jungfrauen, beide Begriffe verstand ich nicht richtig, standen belämmert vor verschlossener Tür. Ich entwickelte ein gewisses pyromanisches Interesse für Öllampen, die in unserer Wohnung fehlten. Am Weihnachtsbaum brannten nur Wachs- und Wunderkerzen, für die ich mich ebenfalls sehr interessierte, wie auch für Lagerfeuer und damals noch seltene Holzkohlegrills.
I
Aber so einfach läßt sich die Verbindung von kindlicher Kerzenerinnerung, Hochzeitsvorbereitungen in der Bibel und Ewigkeitssonntag nicht in die Gegenwart bringen. In dieser sind Hochzeiten zu aufwendigen längeren Festen geworden. Braut und Bräutigam planen jedes Detail, vom Sektempfang nach dem Gottesdienst bis zum Hochzeitstanz, für den der Bräutigam nochmals Tanzstunden nimmt. Die Rituale fangen gleich nach dem Verlassen der Kirche an: Die Freunde vom Ruderclub stehen Spalier. Die Trauzeugin hält Karten bereit, die an einen Luftballon gebunden werden. Auf jeder Karte steht ein Segenswunsch für das Brautpaar; gleichzeitig starten die Segenskarten in den Himmel.
Bei den Ritualen kommen wir schon in die Nähe der leuchtenden Jungfrauen. Denn zur Zeit Jesu erhellte keine Straßenlaterne den Weg, geschweige denn eine Lampe mit Bewegunsmelder. Damit der Bräutigam seinen Weg in das Haus der Brautfamilie fand, schickte diese Helferinnen los, die den Weg für den Bräutigam erleuchteten. Der sehnlichst erwartete Bräutigam sollte auf keinen Fall im Haus einer der Rivalinnen ankommen. Da erwies sich das Anzünden der Öllampen als ebenso nützlich wie symbolisch: nützlich als Hilfe in der Dunkelheit, symbolisch als Bleiben auf dem rechten Weg zur Familiengründung. Dieses Leuchten der Jungfrauen gehörte nicht zur jüdischen oder christlichen Religion. Alle Familien leuchteten damals für den Bräutigam.
Ein kleines Licht weist den Weg durch die Dunkelheit. Der Bräutigam findet durch die brennenden Öllämpchen in den Hafen der Ehe. Leuchttürme weisen den Weg vom offenen Meer zur Flußmündung. Die Lichtkegel von Stirnlampen helfen Joggern auf der nächtlichen Laufstrecke. Kerzenlicht leuchtet auch für die Verstorbenen. In diesem Gottesdienst lesen wir die Namen der Verstorbenen des vergangenen Jahres und zünden für alle Toten eine Kerze an. Viele Katholiken bringen schon an Allerheiligen, vier Wochen vor diesem Sonntag, Kerzen und Leuchten zu den Gräbern ihrer Lieben. Die flackernden Lichter auf dem Grab verweisen wie die Kerzenlichter vor dem Altar auf Gottes Verheißung. In Trost und Hoffnung soll wenigstens ein kleines Stück Trauer überwunden werden.
II
Licht triumphiert über Dunkelheit. Oder ist das zu groß gesagt? Flackerndes, unscheinbares Licht setzt mindestens ein Zeichen gegen die Dunkelheit. Das Licht einer Kerze verströmt ein wenig Wärme und weist – winzig und vorsichtig – einen Weg zu Hoffnung und Versöhnung. Das Licht setzt einen kleinen Protest gegen die Verzweiflungen, die mit Sterben und Tod eines lieben Menschen aufgebrochen sind. Das Licht setzt eine Wegmarke im Verlauf der Trauer. Es besitzt tröstliche und stärkende, Hoffnung machende Eigenschaften.
Im kleinen Kerzenlicht läßt sich auch das große Licht der Sonne entdecken. Sie schafft seit Jahrmillionen mit ihren Lichtstrahlen erst die Bedingungen auf der Erde, damit überhaupt Leben wachsen und gedeihen kann, von den Einzeller über die Schachtelhalme und die hoppelnden Karnickel bis zu den sterblichen Menschen. Ohne Licht würde kein Leben gedeihen, ohne die Sonne würde die Erde nur als öder, mit Kratern übersäter Planet ihre kosmischen Runden drehen. Ohne die Sonne wären Ödnis und Dunkelheit nicht zu durchdringen. Dunkelheit ist das Gegenteil von Licht. Sie zeigt Leere, Leblosigkeit, Eisesstarre und Kälte an. Licht, das in Photonen acht Minuten von der Sonne auf die Erde ‚fliegt‘, erweist sich als kostbares Geschenk. Den Wert dieses strahlenden Geschenks vergessen wir allzu häufig.
Von hierher, aus dem manchmal gleißenden Sonnenlicht gewinnt das unscheinbare Licht der Öllampen seinen besonderen Sinn. Eine Hochzeit schafft mindestens Zweisamkeit, sie stiftet eine neue Familie. Sterben und Tod dagegen schafft Einsamkeit. Die Toten haben die Gemeinschaft der Lebenden verlassen. Deswegen setzen wir in diesem Gottesdienst ein Zeichen und zünden Kerzen an, verlesen die Namen der Toten. Das kleine Licht der Kerzen weist auf einen Weg, der noch kommt. Das Verlesen der Namen setzt ein Zeichen für das Erinnern.
III
Ich habe gesagt: der Weg, der noch kommt. Wohin gehen die Toten? Welchen Weg erleuchten die Kerzen, die die Gemeinde für sie anzündet? Aus dem Gleichnis lassen sich eine Reihe von Stichworten entnehmen, die geeignet sind, diesen Weg der Toten zu umschreiben. Ich drücke das ganz vorsichtig aus, weil wir nicht mehr in einer Welt leben, die das Jenseits eine feste, berechenbare Größe sein läßt. Deswegen handelt es sich bei dieser Geschichte um ein Gleichnis. Der Weg wird angedeutet, aber nicht enthüllt. Es erfüllt mit Schrecken, nichts Konkretes über die Welt nach dem Tod zu wissen. Alles, was wir trotzdem darüber sagen, ist gebunden an die Voraussetzung von Glauben und Hoffnung. Das Gleichnis beleuchtet die Hoffnungen der Christenmenschen über den Tod hinaus.
Da ist zunächst die Rede vom Bräutigam. Das Leben der Toten ist aufgehoben in der Hoffnung auf den auferstandenen Christus. Die Bibel will kein Gebäude mit Himmel, Jenseits und diesseitigem Leben vor Augen malen. Jesus will den Glaubenden einen Weg der Hoffnung ausleuchten. Und dieser Weg der Hoffnung, durch Kerzen und Öllämpchen markiert, wirkt sich bis heute aus. Er verändert die Gemeinde und ihre Trauernden, diejenigen, die sich vor der dunklen Grenze des Todes befinden. Dieser Weg zu Gott erscheint beleuchtet. Auch davon geben Kerzen und Öllampen ein Zeugnis. Das Licht verschafft einen sicheren Tritt. Der beleuchtete Weg überwindet Dunkelheit, Frost und Unsicherheit.
Jesus erzählt von einem Reich, auf das nicht nur die Toten im Kerzenlicht zugehen. Dieses Reich malt er als ein großes Fest vor Augen. Auch für die Menschen im 1. Jahrhundert hob sich eine Hochzeit aus dem Alltag hervor. Im Johannesevangelium (Joh 2,1-11) findet sich eine zweite wunderbare Geschichte über Hochzeiten. Jesus verwandelt Wasser in Krügen in besten Wein, damit die Gäste weiter feiern können. Das ist auch das einzige Mal, daß er so etwas tut; in allen anderen Wunderfällen heilt er Blinde, Taubstumme und Epilepsiekranke.
Das Gleichnis von den Jungfrauen erzählt aber nicht nur von einer heilen Welt. Für die törichten Jungfrauen schließt sich irgendwann die Tür. Sie dürfen nicht teilnehmen. In mir sperrt sich etwas dagegen, diese jungen Frauen in dieser Weise zu bestrafen. Denn in der Übertragung heißt das doch: Die, die nicht glauben, bleiben von der Hochzeit der Geschichte und von Gottes Reich ausgeschlossen.
Ich bin aber der Glaubensüberzeugung, daß Gott in Jesus Christus jedes Leben zu einem guten Ende bringen will. Die Tür im Gleichnis schließt sich, weil Gleichnisse oft mit scharfen Kontrasten arbeiten. Evangelium bedeutet, daß Jesus Christus für alle Türen öffnen will. Im Gleichnis rät er darum zur Wachsamkeit. Er ermuntert dazu, dem Licht zu folgen, dem großen Licht Gottes und all den kleinen Lichtern, Öllampen, Laternen, Wunderkerzen, Scheinwerfern, die in unserem Leben Dunkelheiten aufhellen. Das gilt für die Trauer über den Verlust eines lieben Menschen bis zu schweren Lebenskrisen und Krankheiten. Die kleinen Lichter erinnern an das größere Licht.
Das Leben besteht nicht nur aus Hochzeiten, aus einer Aneinanderreihung von Festen. Es ist – so schwierig dieser Gedanke für uns nachzuvollziehen ist – Leben bis zum Tod, egal ob das plötzlich geschieht wie bei einem Verkehrsunfall oder mit langem Anlauf wie bei Demenz und anderen schweren Krankheiten. Das Gleichnis spricht von Öllampen. Egal, was das Leben bereit hält, ich wünsche uns, daß wir immer mindestens solch ein kleines, aufhellende Licht entdecken. Das ist Gottes Verheißung: Das Licht scheint uns in der Dunkelheit. Allezeit und über den Tod hinaus. Der Friede Gottes, der Dunkelheit, Kälte und Tod überstrahlt, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.