„Luft nach oben“
Österlicher Aufbruch - „Wenn einstens die Posaunen schallen …“
Predigttext | 1. Korinther 15,50-58 |
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Kirche / Ort: | Karlsruhe |
Datum: | 02.04.2018 |
Kirchenjahr: | Ostermontag |
Autor: | Pfarrer PD Dr. Wolfgang Vögele |
Predigttext: 1. Korinther 15,50-58 (Übersetzung nach Martin Luther)
Das sage ich aber, liebe Brüder, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können; auch wird das Verwesliche nicht erben die Unverweslichkeit. Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit. Wenn aber dies Verwesliche anziehen wird die Unverweslichkeit und dies Sterbliche anziehen wird die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht (Jesaja 25,8; Hosea 13,14): »Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?« Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus! Darum, meine lieben Brüder und Schwestern, seid fest und unerschütterlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, denn ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.
Mit wohl gesetzten Worten entfaltet der Apostel Paulus einen überwältigenden Strom der Auferstehungsfreude. Der Sieg über Sünde und Tod und die Verwandlung in die Unverweslichkeit der Ewigkeit werden begleitet vom Signal einer Posaune. Der Apostel spricht sehr merkwürdig von der „letzten Posaune“ und ihrem Schall. Und es wird Sie erstaunen, dass sich Paulus eine Praxis der Weckrituale römischer Legionen ausgeborgt hat. Darauf komme ich in einem Moment.
Der Schall der Posaune, welche die Auferstehung begleitet, wirkt sich seit Jahrhunderten in die Aufstellung evangelischer Kirchenmusik aus. Denn die letzte Posaune, die bei der Auferstehung erklingen wird, hat dazu geführt, dass in den evangelischen Gemeinden Zehntausende von Posaunenchören regelmäßig Gottesdienste und Andachten begleiten.
„Luft nach oben“ lautete das Motto des 2. Evangelischen Posaunentags im Jahr 2016 in Dresden. Und in diesem Motto verschlingen sich symbolisch das Atemvolumen der Bläser und die österliche Freude über die kommende Verwandlung der Welt: Auf dem Weg nach Ostern soll niemandem die Puste ausgehen, eine Sache von langem Atem und anhaltenden Gebeten, bis Bläser und Gemeinde oben im Himmel angelangen. Posaunenchöre zählen zum schönsten und klangvollsten, was die evangelische Kirche musikalisch zu bieten hat. Besonders haben mich stets die kleinen Bläsergruppen fasziniert. Am Sonntagmorgen, zwei Stunden vor Beginn des Gottesdienstes, steigen sie auf den Kirchturm und blasen in jede Himmelsrichtung einen Choral, um die Gemeinde zu wecken und zu Gebet, Predigt und Gesang einzuladen. Der geblasene Weckruf tönt über die Brüstung des Kirchturms, wie auch in vielen Gemeinden gerade der Posaunenchor am Ostermorgen auf dem Friedhof spielt.
Auch in den Kantaten von Johann Sebastian Bach verbinden sich die bei ihm gar nicht so häufig benutzten Posaunen stets mit der Freude über Ostern und die Auferstehung. Denn Posaunen gehörten nicht zur Ausstattung des kirchenmusikalischen Orchesters, auf das Bach in der Leipziger Thomaskirche zurückgreifen konnte. Blechbläser musste er wie die Pauken von den Stadtpfeifern ausleihen, und das kostete viel Geld. Aber Ostern war kirchenmusikalisch etwas Besonderes, für diese kirchlichen Festtage konnte der Kantor und Komponist mit Genehmigung seiner Ältesten eine Gruppe von Bläsern engagieren. Zumal sich die Posaune schon beim Apostel Paulus mit der Auferstehung verband.
Aber ob Paulus an das Blasinstrument mit dem langen Metallzug gedacht, das man heute unter dem Namen ‚Posaune‘ kennt, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. Wenn Martin Luther im Urtext des Alten wie Neuen Testaments von Blasinstrumenten las, dann übersetzte er, ohne große Unterscheidungen zu treffen, mit Posaunen, egal ob die biblischen Schriftsteller an ein Blasinstrument aus Horn (im Hebräischen Schofar) oder aus Silber (im Griechischen eher eine Trompete) dachten. Wenn man sehr genau hinschaut, dann sind die wunderbaren evangelischen Posaunenchöre vielleicht aus einem Übersetzungsfehler hervorgegangen. Aber das wäre ein schöner, musikalischer, österlicher Irrtum gewesen. Denn in ihm verbinden sich kirchenmusikalische Praxis und Osterfreude.
Paulus schreibt sehr pointiert von der „letzten Posaune“ und dachte dabei vermutlich an die römischen Legionen, straff organisierte militärische Verbände von Hunderten von Soldaten. Wenn solch eine Legion am Abend ihre Zelte aufschlug, dann ertönte früh am nächsten Morgen die erste Posaune zum Wecken und zum Abschlagen der Zelte. Dann folgte die zweite Posaune, das Signal, dass sich die Soldaten in Reih und Glied aufstellten. Die „letzte Posaune“ signalisierte Aufbruch und Abmarsch. Und bei Paulus gibt die letzte Posaune das Signal für die Auferstehung der Toten. Deshalb hört die schlaftrunkene Gemeinde, wenn der Posaunenchor früh am Sonntagmorgen vierstimmig einen Osterchoral bläst, einen Vorgeschmack kommender Auferstehungsfreude.
Posaunenchöre und Bläsersignale erinnern an die Auferstehungshoffnung. Das führt zu der tieferen Frage: Was müssen wir uns unter Auferstehung der Toten vorstellen? Neulich, am Anfang der Karwoche sah ich im Kino einen Film, der mich sehr angesprochen hat. Der amerikanische Regisseur erzählte zwei Stunden lang die Geschichte Maria Magdalenas. Ihr, die Jesus nachfolgt und ihn nach Jerusalem begleitete, gestand die katholische Kirche als erster Frau den Rang einer Apostelin zu.
Drei Tage nach der Kreuzigung begegnete Maria Magdalena als erste Zeugin dem auferstandenen Jesus. Im Film geriet das zu einer pathetischen und leider kitschigen Szene. Maria kommt in den Garten mit dem Grab und sieht einen bärtigen Mann, der an der Kante eines Abhangs sitzt und zum Horizont blickt. Maria spricht ihn an und erkennt den Jesus, dem sie in den Monaten zuvor fasziniert gefolgt war. Mit ihm hatte sie viele Gespräche über das Reich Gottes geführt, auf ihn hatte sie ihre Hoffnung gesetzt. Der Regisseur nun versteht Auferstehung als Wiederbelebung eines Toten. Und genau das fand ich sehr enttäuschend. An dieser Stelle hätte ich mir ein wenig mehr theologische Reflexion gewünscht. Schade, dass der Film an diesem Punkt nur die klischeehaften Erwartungen fundamentalistischer Christen in den USA bediente.
Schon der Apostel Paulus wusste das besser. Auferstehung ist nicht einfach Wiederbelebung zum alten Leben. Das wäre ja auch eine merkwürdige Vorstellung. Bei Paulus, in der Begeisterung seiner theologischen Meditation über Ostern, finden sich ganz andere Töne: Auferstehung ist eine Verwandlung. Fleisch und Blut werden sich verwandeln in einen neuen Leib. Paulus spricht von einem „Geheimnis“, auch wenn sich diese Wendung nicht unmittelbar auf den Prozess der Auferstehung bezieht.
Es zeigt die tiefe Menschlichkeit des Paulus, dass er sich gerade bei dem, was er unter Geheimnis verstand, geirrt hat. Er meinte, dass die universale Auferstehung der Toten unmittelbar bevorstünde, so nah, dass einige Christen ohne Sterben unmittelbar vom Leben in den Zustand der Auferstehungsherrlichkeit übergehen würden. In dem, was die Theologen Naherwartung nennen, hat er sich geirrt. Wie alle anderen nach ihm blickt der Apostel aus dieser, der vorletzten Welt auf die Auferstehung. Und dennoch hindern diese theologischen Verwerfungen Millionen von Christen in der ganzen Ökumene nicht darin, an Ostern, auch am Ostermontag in lauten Osterjubel auszubrechen. Ihrem Glauben verleihen sie durch Gesang, Gebet und Feier hör- und sichtbaren Ausdruck. Christus – er ist wahrhaftig auferstanden! Und deswegen erwarten alle Glaubenden, eine allgemeine und umfassende Auferstehung der Toten. Keine Wiederbelebung, keine Wiederholung des Alten und Erstarrten, sondern Gottes Reich, in dem alles verwandelt ist.
Paulus spricht von dieser Verwandlung in den denkbar stärksten Gegensätzen: Fleisch und Blut gegenüber dem Reich Gottes, Verweslichkeit gegenüber Unverweslichkeit, Sterbliches gegenüber Lebendigem, Sünde gegenüber Gnade und zuletzt Tod gegenüber dem Sieg des Lebens. Ich bin überzeugt, genau an diesem Punkt versteckt sich die Faszination, welche die Geschichten über die Auferstehung und das theologische Nachdenken darüber schon seit langem auslösen. Christlicher Glaube hat sich stets durch zwei Merkmale ausgezeichnet, zum einen durch eine nüchterne Sicht auf die Dinge und Verhältnisse des Lebens und der Welt, zum anderen durch eine Begeisterung, einen Enthusiasmus, der sich über die Verhältnisse der Welt hinwegsetzte.
Die nüchterne Anerkennung der Verhältnisse der Welt spiegelt sich in dem alten Choral Johann Rosenmüllers: „Alle Menschen müssen sterben,/ alles Fleisch ist gleich wie Heu“. Niemand kann Sterben und Tod aus seinem Leben verbannen. Man kann den Tod ignorieren, so wie Goethe, der sich weigerte, an Beerdigungen teilzunehmen. Er ließ sich bei den Trauerfeiern für seinen besten Freund Friedrich Schiller und für seine Ehefrau Christiane, geborene Vulpius, entschuldigen. Das bedeutete nicht, dass er nicht um diese beiden Menschen getrauert hätte. Dem Tod aber wollte er unter keinen Umständen Macht über sein Leben einräumen. Und dennoch wusste auch er, dass er selbst sterben würde, auch wenn er ein sehr hohes Alter erreichte und einen sanften Tod starb. Jedem Menschen steht die Möglichkeit offen, den Tod außer Acht zu lassen. Doch irgendwann machen sich Gebrechlichkeit, Krankheit, Müdigkeit, Schwäche, das Älterwerden im Leben eines jeden Menschen bemerkbar.
Paulus sagt nicht: Ihr müsst den Tod anerkennen. Das wäre für den Glauben viel zu wenig. Denn der nüchternen Sicht auf die Welt und das Leben stehen auf der anderen Seite Hoffnung, Freude und Enthusiasmus gegenüber. All das zeigt sich in der Gemeinde in Osterfreude und am Osterlachen, in den lächelnden Gesichtern der kleinen Kinder, die getauft werden, in der seligen Freude, mit der Brautpaare am Altar um Gottes Segen bitten, im scheuen Lächeln der Konfirmanden, die zum ersten Mal einen dunklen Anzug oder ein Kleid angezogen haben, aber auch schon in der guten Stimmung beim Gemeindefest, in den strahlenden Gesichtern der Sänger aus der Kantorei oder in der Anstrengung der Bläser aus dem Posaunenchor. Wie gesagt: Luft nach oben.
Enthusiasmus – das ist Freude, Begeisterung, überschäumendes Lachen. Christus hat den Tod besiegt. Und weil er dem Leben einen kräftigen Bewegungsschub verleiht, stehen Christen gelegentlich in der Gefahr, sich die Glaubensbegeisterung schön zu reden, so als ob die Nöte der Welt nicht mehr gäbe. Aber das hat Paulus nicht gemeint. Enthusiasmus ohne Nüchternheit führt in jene freischwebende, weltabgewandte Fröhlichkeit, die häufig so aufgesetzt und deplatziert wirkt. Nüchternheit ohne Enthusiasmus führt in jene biestige und strenge Verklemmtheit, die sich in heruntergezogenen Mundwinkeln und dauerhaft griesgrämigem Gesicht zeigt.
Paulus zielt auf eine Balance zwischen Nüchternheit und Enthusiasmus, und er gebraucht für diese Balance das Wort von der Verschlungenheit. Die Auferstehung hat noch nicht vollständig die Oberhand errungen. Martin Luther hat dies im vierten Vers seines Chorals „Christ lag in Todesbanden“ von 1524 ganz treffend ausgedrückt, und er hat dabei Motive aus dem Predigttext aufgenommen. Fast zweihundert Jahre später sollte Johann Sebastian Bach aus dem Choral eine Kantate für das Osterfest machen. „Es war ein wunderlicher Krieg, da Tod und Leben rungen, Das Leben behielt den Sieg, Es hat den Tod verschlungen. Die Schrift hat verkündigt das, Wie ein Tod den andern fraß, Ein Spott aus dem Tod ist worden. Halleluja.“
Fast noch mehr als Paulus setzt Luther den Akzent auf den Kampf zwischen Tod und Leben. Aber an Ostern hat es sich entschieden: Das Leben behält den Sieg. Es hilft nichts, die Gegenwart der Sünde und des Bösen in der Welt zu leugnen. Beides findet sich oft gerade dort, wo es niemand vermutet hätte, dort, wo sich Menschen den Anschein des Tugendhaften und Gutgemeinten geben, kurz: in uns selbst. Auch das gehört zur Nüchternheit protestantischen Glaubens, die Wirklichkeit der Sünde anzuerkennen. Trotzdem besteht kein Grund, sich wegen der Sünde in einen Abgrund von Verzweiflung zu stürzen. Verzweifeln wird nur, wer nichts anderes als die Sünde sieht.
Im Osterglauben wird die Sünde verlacht und verspottet. Ostern heißt: Gott ist dabei, die Sünde zu überwinden. Wer das vergisst, weil er von den vielen Kleinigkeiten in seinem Leben abgelenkt und zerstreut wird, der benötigt die Signalfanfare der Posaune, am frühen Morgen zu schlaftrunkener Zeit und wenn es nötig ist, auch mitten in der Nacht: Auferstehung schafft Luft nach oben.