Was für ein Wechselbad der Gefühle! Was für Gegensätze: Eine Hinrichtung und eine Befreiung; ein brutaler Diktator und zwei ohnmächtige Opfer; eine machtverliebte religiöse Elite und eine verfolgte Gemeinde; zwei Handlanger des Teufels und ein Engel des Herrn; hohe Gefängnismauern und eine offene Tür; Solidarität und schadenfroher Applaus; Macht und Ohnmacht; Traum und Wirklichkeit. Und mittendrin die Apostel Jakobus, der Bruder des Johannes, und Petrus als Objekte und Subjekte des Geschehens. Eine Geschichte, die wundersame und wunderbare Züge trägt, die aber die Härte und Grausamkeit der Realität nicht leugnet. Eine Befreiungsgeschichte, die den Schmerz der Ohnmacht nicht verdrängt: Einer der beiden Apostel muss sterben, und einer darf leben. Jakobus, einer der beiden Zebedaiden, wird mit dem Schwert hingerichtet; für Petrus öffnen sich die Gefängnistore wieder. Das ist Lebenswirklichkeit in all ihrer Gegensätzlichkeit, ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Schicksalshaftigkeit. Inmitten aller Härte und Brutalität der Welt gibt es trotzdem immer wieder Befreiungserfahrungen – unerwartet und unverhofft; erbeten, aber so unglaublich, dass sie anfangs gar nicht geglaubt und gedanklich realisiert werden können. Wach‘ ich oder träum‘ ich? Geschieht mir das wirklich? Ist die Tür in die Freiheit wirklich offen? Petrus wusste es am Anfang seines Weges in die Freiheit gar nicht so genau. Er braucht lange, bis er überhaupt realisiert, dass er noch einmal in die Freiheit darf, noch einmal davongekommen ist. Er erkennt den Boten Gottes nicht auf Anhieb, sondern meint anfangs, er habe eine Vision gehabt, er würde bloß träumen. Und doch, es ist Wirklichkeit! Er erlebt reale Befreiung.
Es geht noch einmal etwas gut, was schon verloren geglaubt war. Die Hinrichtung war schon beschlossene Sache gewesen, wenn auch der damalige Herrscher Herodes Agrippa I. und seine Schergen eine Art „Feiertagsruhe“ über das Pessachfest einhalten wollten, um den frommen religiösen Schein zu wahren. Es ist jener Agrippa, der als brutal herrschender Machtmensch nicht minder grausam war wie sein Großvater, der Bethlehemer Kindermörder Herodes der Große, der aus der Weihnachtsgeschichte bekannt ist. Er hatte bei den treibenden Kräften in seinem Umfeld, der herrschenden religiösen Elite der damaligen Zeit, volle Unterstützung und Applaus gefunden für seine Politik der Härte und der grausamen Verfolgung. Ein brutaler Herrscher wie im Blutrausch. – Jakobus bezahlte ihn mit dem Leben. Es gab aber auch Menschen, die trotz eigener Gefährdung an der Seite der Verurteilten blieben, betend, fürbittend, solidarisch: die erste christliche Gemeinde in Jerusalem, in der Jakobus und Petrus Leitungsfunktionen übernommen hatten, ihre Brüder und Schwestern im Glauben, die zu ihnen hielten. Die Gläubigen der Gemeinde bangten um den verhafteten Petrus und beteten Tag und Nacht für ihn zu Gott, wie uns die Apostelgeschichte erzählt. Sie ließen sich nicht entmutigen, trotz der unheilvollen Nachricht über die Enthauptung von Jakobus. Inständig blieben sie im Gebet verbunden mit Petrus und mit Gott.
Eine solche Arroganz der Macht und die willigen Claqueure dazu, wie sie in der Apostelgeschichte erzählt wird, gibt es auch heute noch. Demonstrative Machterweise einer unumschränkten Herrschermacht, die keine Rücksicht auf Menschlichkeit und Humanität nimmt. Brutale Diktatoren wachsen bis heute nach – all die Lukaschenkos, Charles Taylors und Assads dieser Welt. Drangsalierung bis hin zur brutalen Ermordung unliebsamer Kritiker gibt es nach wie vor in der Welt – ein Blick nach Syrien genügt. Menschenrechtsaktivisten werden verhaftet, um sie mundtot zu machen – ein Blick nach China genügt. Aber immer wieder gibt es auch Befreiungserfahrungen, offene Gefängnistore, gesprengte Fesseln. Nelson Mandela in Südafrika ist so ein Beispiel, der mehr als sein halbes Leben als ANC-Aktivist hinter Gittern gesessen hatte, bis das Apartheid-Regime endlich abdanken musste. Gerade reiste die jahrelang unter Hausarrest gestellte ehemalige birmanische Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aun San Suki nach Amerika, um die höchste zivile Ehrung des US-Kongresses in Empfang zu nehmen. Hinter ihr liegt ihr langer Weg in die Freiheit: erst vor zwei Jahren, 2010, hatte das Regime in Rangun nach Jahrzehnten ihre häusliche Gefangenschaft, das Reise- und Kontaktverbot zu westlichen Politikern und Medienvertretern aufgehoben. Auch Christenverfolgung gibt es nach wie vor in vielen Regionen der Erde – in unserer westlichen Welt meist viel zu wenig wahrgenommen. Weiterhin sind statistisch gesehen die Christen die am meisten verfolgte Religionsgruppe auf der Welt. Organisationen wie „Open doors“ listen die traurigen Fälle auf, in Nordkorea, in Papua, in Nigeria und in vielen, vielen anderen Ländern und Regionen der Erde.
Es gibt aber zum Glück auch überall Menschen in Solidarität, eine fürbittende Gemeinde, die auch in aussichtloser Situation nicht aufhört zu beten – und sie wird gebraucht! Menschen braucht es, die inmitten all der Drangsalierung, Brutalität und Propaganda nicht aufhören, für das Gute einzutreten und es bittend vor Gott zu bringen, immer wieder, ohne nachzulassen. Menschen, die sich nicht entmutigen lassen, auch wenn die arroganten Mächtigen, auch wenn das herrschende Regime mit den üblichen Mitteln der Einschüchterung, der Bespitzelung und der Zermürbung arbeitet. Auch aus unserem Land, aus unserer unmittelbaren Vergangenheit, gibt es dafür ein bewegendes Beispiel: die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche, die den Auftakt zu den Leipziger Montagsdemonstrationen bildeten. Hier hat die friedliche Revolution in der DDR ihren Ausgang genommen, die schließlich nach 40 Jahren Diktatur in die Freiheit, in Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und in die Wiedervereinigung des geteilten Deutschland geführt hat. Eine Revolution, die in der Kirche einen ihrer Ursprungsorte hatte und die ohne Kirchenvertreter wie den Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer, wohl nicht so friedlich und gewaltfrei verlaufen wäre. In seinen Lebenserinnerungen beschreibt er, wie die Kirche damals inmitten der Unterdrückung auf ebenso überraschende wie überwältigende Weise ein Raum der Freiheit hat werden können:
„Das Gespräch am Kreuz sollte der Einstieg zu Friedensdekade sein, entwickelte sich jedoch schnell zu einem der markantesten Geschehnisse. Der Plan für den Abend wurde durch die Länge der Diskussion gesprengt, die Gesprächsrunde wurde zum Hauptteil, und jeder neue Beitrag vermittelte den Jugendlichen eine neue Erkenntnis…Die Kirche war ihr Raum der Freiheit geworden“ (Christian Führer, Und wir sind dabei gewesen. Die Revolution, die aus der Kirche kam, Berlin, 4. Aufl., 2012, S. 115). Der Weg hat am Ende in die Freiheit geführt und die Revolution ist dabei friedlich und gewaltlos geblieben. Keiner derer, die damals dafür gebetet haben, konnte um diesen glücklichen Ausgang wissen. Es hätte auch alles ganz anders kommen können. Sie blieben trotzdem im ständigen Gebet. Bis heute gibt es das Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche, denn Grund zum Beten für unschuldig Verfolgte und Inhaftierte in der Welt gibt es nach wie vor mehr als genug. Befreiungserfahrungen; ein sich eröffnender Weg in die Freiheit, wie er überwältigender nicht sein kann. Wie der Apostel Petrus ihn erlebt hat und viele aufrecht für das Gute kämpfende Menschen nach ihm, so gibt es ihn Gott sei Dank immer wieder, bis heute, inmitten all der Unterdrückungserfahrungen und der brutalen Realität dieser Welt.
Nicht jeder Kampf für das Gute geht gut aus, das wissen wir, leider. Das verdrängt auch die Bibel nicht. Jakobus wurde ermordet – nur Petrus entkam seinen Häschern. Und doch erfahren wir durch diese biblische Befreiungsgeschichte mit all ihren wunderbaren Zügen Ermutigung und Motivation, gerade als christliche Gemeinde im Gebet für bedrängte und unterdrückte Menschen nicht nachzulassen – gegen allen Augenschein. Beten wir für Menschen, die Freiheit brauchen – sei es die äußere Freiheit, Bewegungs-, Meinungs-, Religionsfreiheit oder sei es auch innere Freiheit, wenn Menschen durch Süchte, Seelenkonflikte, Selbstzweifel und Selbsthass gefesselt sind. Manche Mauern um das eigene Ich scheinen ebenso hoch wie Gefängnismauern, unüberwindbar hoch. Trotzdem die Hoffnung auf Befreiung, auf Freisein nicht aufgeben. Betend füreinander eintreten, für alle Menschen, die äußerlich oder innerlich unfrei sind. „So saß Petrus also streng bewacht im Gefängnis. Aber die Gemeinde betete Tag und Nacht für ihn zu Gott.“ Beharrlichkeit im Gebet – ein Auftrag auch für uns als Christinnen und Christen. Nicht Nachlassen darin, miteinander die Vision der Freiheit zu teilen, äußerer und innerer Befreiung – wider alle Erwartung. Trotz aller schlechten Nachrichten, trotz aller Rückschläge, trotz aller Widrigkeiten am Gebet und der Vision der Freiheit festhalten im Vertrauen auf Gottes Mitsein. Gott, der ein Gott der Freiheit ist, der das Volk Israel aus der Gefangenschaft im Sklavenhalterstaat Ägypten geführt hat, Gott, dessen Kraft stärker ist als alle Mächte und Gewalten der Finsternis, ja auch der Gewalt des Todes.