Der sogenannte Aaronitische Segen beschließt Gottesdienste jeglicher Art und ist spirituelle Wegzehrung im Alltag. Er steht im 4. Buch Mose, Kapitel 6. Hier erhält Mose von Gott den Auftrag, den Segen an seinen Bruder Aaron weiterzugeben, damit dieser und alle folgenden Priester das Volk mit den Worten segne: „Der Herr segne dich und behüte dich…“ (Predigttext) Dieser Segen will uns einen dreifachen Rückhalt geben:
– Gott schenkt uns Lebenskraft, Glück und Gedeihen.
– Gott wendet sich uns mit heiterer Miene wohlwollend zu und
– Gott vermittelt, uns zugeneigt, Frieden.
Der Segen scheint eine eigenartige Lebenskraft zu übertragen. So berichtet der Heidelberger Theologieprofessor Christian Möller von folgender Begebenheit: Eine „Frau erschien nach einem Gottesdienst in der Sakristei, um mir in bewegten Worten für diesen Gottesdienst zu danken. Sie habe seit vielen Jahren keine Kirche mehr von innen gesehen, aber heute habe ihr die Verzweiflung bis zum Hals gestanden, sie habe ständig mit Selbstmordgedanken kämpfen müssen, und da sei sie einfach den Glocken gefolgt und habe die Kirche aufgesucht. Sie müsse ehrlich gestehen, dass sie sich zunächst gar nicht wohlgefühlt habe, alles sei ihr so fremd und ungewohnt gewesen. Auch von der Predigt habe sie leider wenig verstanden, sie sei wohl zu sehr mit sich beschäftigt gewesen. Schon habe sich ihrer ein tiefes Enttäuschungsgefühl bemächtigt, aber da, ganz am Schluss, da habe sie mich mit erhobenen Händen am Altar stehen sehen, und da habe ich etwas gesagt, was sie wie ein Lichtblitz getroffen habe, und auf einmal sei ein ganz tiefer Friede in ihr eingekehrt, das Gefühl, dass ihr ja eigentlich doch nichts passieren könne. Es sei ein Gefühl gewesen, wie sie es seit ihrer Kindheit nicht mehr erlebt habe, und sie möchte doch gern, dass ich ihr das aufschreibe, was ich da gesagt habe, es sei etwas mit einem leuchtenden Angesicht gewesen und vom Frieden, und sie habe an den Erzengel Michael denken müssen, als sie mich da so habe stehen sehen. Wenn ich ihr jetzt die wenigen Worte, die sie so tief getroffen haben, aufschreiben würde, dann könnte sie das sicher auswendig lernen und sie sei sicher, dass sie besser mit ihren Schwierigkeiten würde umgehen können, wenn sie sich diese Worte ins Gedächtnis riefe“ (Chr. Möller, GPM, 2/2001, Heft 3, S. 282).
Der Segen lässt uns die Gegenwart der guten Mächte erfahren. Segen ist jene Kraft, die von Gott kommt und Leben wachsen und gelingen lässt. Die Bitte um Segen erfolgt in der Gewissheit, dass Gott sein Versprechen hält. Wie wichtig Gottes Geleit für den Alltag der neu beginnenden Woche ist, zeigen Bauernfamilien in dem kleinen Bergdorf San Andrea in den Dolomiten. Oftmals kamen sie zu spät zum Gottesdienst, weil der Weg von ihren Höfen sehr weit war. Manche kamen erst kurz vor Schluss des Gottesdienstes an, aber zum Segen waren sie pünktlich da. „Um diese letzten Sätze zu hören, dafür hatten sie den langen Weg angetreten, und als Gesegnete gingen sie wieder heim. ‚Den Segen haben wir mitgekriegt‘, sagten sie zufrieden und meinten es ganz wörtlich. Als sei der Segen etwas ganz Handfestes, etwas zum Anfassen und Einpacken, etwas, das man nach Hause tragen könnte. Mehr brauchten sie nicht und spürten es genau: Kaum setzten sie ihren Fuß über die Schwelle der Kirchentür, traf sie dort das Segenswort und sie konnten wieder von dannen ziehen.“ (Sabine Jente, 2009)
Segen erleben wir räumlich, wenn der Pfarrer/die Pfarrerin dazu die Hände erhebt und eine besondere Atmosphäre im Raum entsteht. Segen kann auch unter die Haut gehen, wenn Jugendliche bei der Konfirmation die Hand aufgelegt wird oder dem Brautpaar bei der Trauung. Segen spüren wir auf unserem Leib. Die Segensworte können emotional anrühren. So habe ich gestern im Internet bei „YouTube“ den Aaronitischen Segen von einer wohlklingenden Männerstimme gesungen gehört, erst auf Hebräisch, dann auf Englisch. Dieser gesungene Segen, begleitet von beruhigender Musik und mit phantastischen Farbaufnahmen von Himmel und Erde geht einem schon zu Herzen. Geben Sie mal zu Hause das Stichwort „Aaronitischer Segen“ ein, dann können Sie es bei YouTube hören. Ich denke an das heilsame Ritual der uralten Segensgebärde. Dazu sagt der Benediktiner Anselm Grün: „Ich erhebe die Hände nach oben und halte meine Handflächen vorne. Ich lasse gleichsam den Segen durch meine Handinnenflächen zu den Menschen strömen, an die ich jetzt denke, in die Räume meiner Wohnung, in die Räume, in denen ich arbeite, und zu all den Orten dieser Welt, die voller Dunkelheit und Unfrieden sind, damit Gottes Segen diese Räume verwandle und seine segnende Hand über die Menschen hält.“ (A. Grün, in: U. Sander (Hrg.), Jeder Tag ist ein Geschenk. Atempausen für die Seele. Herder, Freiburg 2011, S. 32) Ja, die segnenden Hände. Immer wenn ich die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin besuche, fällt mein Blick sofort auf die einladenden großen Arme und Segenshände Jesu, hoch über dem Altar schwebend. Noch eindrucksvoller und bekannter ist die segnende Christusstatue in Rio de Janeiro, auf dem 700 Meter hohen Corcovado-Berg; dieser segnende Christus mit seinen weit ausgebreiteten Armen gehört seit 2007 zu den neuen 7 Weltwundern. Dieser fast 40 Meter hohe segnende Christus erinnert alle Welt an jene große Kraft, die von Gott kommt und Leben behütet und bewahrt.
Als Schüler gefragt wurden, was Segen heißt, haben sie geantwortet:
– Segen ist wie ein Mantel, den ich einem anderen umhänge;
– Segen ist wie eine frische Quelle im Gebirge;
– Segen ist wie eine Saat, die man ausstreut;
– Segen ist wie frisches Brot, wie warmer Regen.
Auffällig ist, dass diese jungen Menschen unter „Segen“ etwas Nahes, Greifbares verstehen. Man könnte auch sagen, der Segen gleicht einem „Biskuitboden, der leicht und locker die Torte vom Grund her stützt und sie durchzieht und zusammenhält. Ohne Segen ist das Leben vielleicht… wie eine Freundschaft ohne Vertrauen,… wie eine Insel ohne Leuchtturm.“ (P. Savvidis, Konfirmationspredigt 2004, in: www.predigten.uni-goettingen.de/archiv-6/0404-konfirmation) Der Segen stellt den Menschen unter Gottes Geleitschutz. So hängt in unserem Hausflur der Segensspruch an der Wand: „Herr, segne dieses Haus und alle, die da gehen ein und aus“. Nichts anderes bedeutet auch die Buchstabenfolge C+M+B, mit Kreide außen an die Haustür angeschrieben, es ist die Abkürzung für „Christus Mansionem Benedicat“, d. h. Christus segne dieses Haus. Der Segen für ein Haus, das meint: Gott möge mit den Menschen sein, die hier ein- und ausgehen, er möge sie begleiten und beschützen. So mancher Autofahrer fährt unter Gottes Segen – so stehen die drei Wörter „Gott schütze dich“ auf der Christophorus-Plakette, die man an das Armaturenbrett des Autos kleben kann. Der Holsteiner Dichter Matthias Claudius benennt ganz konkret lebenswichtige Früchte des rechten Segens. So heißt es am Schluss seines Gedichtes „Täglich zu singen“:
„Und all das Geld und all das Gut
gewährt zwar viele Sachen;
Gesundheit, Schlaf und guten Mut
Kann’s aber doch nicht machen.
Und die sind doch, bei Ja und Nein!
Ein rechter Lohn und Segen!
Drum will ich mich nicht groß kastei’n
Des vielen Geldes wegen.
Gott gebe mir nur jeden Tag,
So viel ich darf zum Leben.
Er gibt’s dem Sperling auf dem Dach;
Wie sollt er’s mir nicht geben!“