Jesus kommt in die Stadt. Ich stelle mir vor, dass die ganze Stadt auf den Füßen ist. Der berühmte Jesus kommt. Der, von dem es heißt, dass er Blinde sehend und Lahme gehend machen kann. Das ist der, der nicht Nase rümpfend an Bettlern und Ausgestoßenen vorbei geht, der den einfachen Menschen sagt, dass Gott sie liebt und annimmt so wie sie sind. Alle sind neugierig und wollen ein Blick auf Jesus erhaschen.
I.
Marta schafft es. Jesus kommt in ihr Haus. Er will ihr Gast sein. Und er ist ihr wichtig. Das will sie ihm natürlich auch zeigen. Also wirbelt sie in der Küche und im Haus herum. Das beste Essen ist gerade gut genug. Alles muss blitzblank sein.
Ich kann mir gut vorstellen, wie sie bei ihrer ganzen Arbeit immer wieder einen genervten Blick zu Maria ihrer Schwester wirft. Wie sie immer wütender wird. Wie sie sich denkt: Wenn die da mir mal helfen würde, dann könnte es viel leichter sein, unseren Gast angemessen zu bewirten, sie ist schuld, dass ich nicht fertig werde.
Und Maria? Maria, wird sich gefreut haben, dass Marta es geschafft hat, Jesus als Gast einzuladen. Sie wollte von ihm hören, von ihm, von dem sie schon so viele spannende Erzählungen gehört hatte. Keine Sekunde will sie verpassen. Zu kostbar ist die kurze Zeit, die sie mit Jesus haben kann. Da will sie keine Zeit damit verschwenden, in der Küche abzutauchen und nur zum Auftragen der Speisen vor Jesus treten zu können. Sie klebt an seinen Lippen, saugt die Worte auf, die er von Gott erzählt und vom Reich Gottes, in dem es anders zu geht als in der Welt, in der sie lebt. Maria lässt sich ganz auf den Gast ein und zeigt ihm, wie wichtig ihr seine Botschaft ist.
II.
Maria und Marta haben gemeinsam einen Gast und sie gehen so unterschiedlich mit ihm um: Marta hetzt sich ab und ist ständig in Bewegung, um die äußerlichen Bedürfnisse des Gastes zufrieden stellen zu können. Sie selbst hat wenig Freude an dem Besuch, hatte es sich vielleicht anders vorgestellt. Letztlich bleibt ihr nur die Genugtuung, dass der große Jesus bei ihr war, und der Stolz darauf, dass sie versucht hat, Jesus vorbildlich zu bewirten. Maria hingegen zeigt Jesus ihre Wertschätzung dadurch, dass sie sich Jesus ganz zuwendet. Sie bereitet sich, aber auch Jesus damit Freude, dass sie ihm zuhört, sich vollständig auf ihn einlässt. Das tut ihr gut.
Wer braucht schon diese ganzen äußerlichen Dinge. Wer braucht das schon, dass es ein ganz besonders Essen geben muss, dass meine Wohnung ganz besonders sauber sein muss. Worauf kommt es denn wirklich an? Ich denke, dass jeder diese Frage nach den Prioritäten kennt. Muss ich wirklich jeden Tag eine Stunde länger arbeiten, um meine Arbeit gut zu machen. Kann ich nicht das eine oder andere mal liegen lassen, damit ich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen kann? Warum nicht einfach pünktlich Feierabend machen und dann mit den Kindern auf den Spielplatz gehen. Ist es gesund, wenn ich regelmäßig das Mittagessen am Schreibtisch nebenbei einnehme, weil ich hier noch schnell ein Telefonat führen und da noch eine Mail fertig schreiben muss, und schon ist der nächste Termin?
Es gibt Dinge, die sind wichtig und dulden keinen Aufschub, da muss ich sofort handeln und meine Bedürfnisse zurückstellen. Ohne Frage. Aber ebenso wichtig sind Phasen, in denen wir uns um unsere Seele kümmern und uns das gönnen, was uns wirklich gut tut. Maria hat dafür den richtigen Zeitpunkt erspürt, für den ein gutes Essen und ein sauberes Haus nur Nebensache ist. Und sie hat damit den besseren Teil gewählt. Jesus und das Zusammensein mit ihm tut ihr gut, und es tut auch ihrem Gegenüber gut.
III.
„Eins ist not – Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden”, sagt Jesus. So meint dann “Eins ist not”, dass Jesus den Menschen Zeit im Leben gibt, Raum, sich für das zu entscheiden, was gerade dran ist. Wenn wir auf das Gleichnis des barmherzigen Samariters schauen, das nur wenige Verse vor unserem Predigttext steht, dann fällt mir Eines auf: Auch der barmherzige Samariter entscheidet sich für das, was gerade dran ist – in seiner Situation für das Handeln. Es ist Gefahr im Verzug. Da darf ich mich nicht fragen, was mir gerade gut tut, da gibt es ein höheres Ziel, das ich im Auge behalten muss.
Aber in der Geschichte um Maria und Marta ist auch ein Verständnis für Marta zu erkennen, für diejenige, die in ihrer Arbeit, in ihrem Alltag und in ihren Sorgen so gefangen ist. „Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.” Jesus verurteilt sie nicht. Er wirkt auf mich eher liebevoll besorgt. Marta erkennt und nutzt die Freiheit, die sie hat, nicht mehr, sie ist nicht mehr offen für Veränderungen, für neue Entscheidungen. Denn Jesus leugnet die Zwänge nicht, denen der Mensch ausgesetzt sein kann.
Manchmal befinden wir uns wie in einem Hamsterrad und strampeln, fühlen uns wie Getriebene, die ihr Leben nicht frei gestalten. Die meinen, jetzt noch diese Aufgabe erfüllen und hier und da dabei sein zu müssen. Ich fühle mich da ertappt, weil auch ich immer wieder so denke. Es tut mir aber gut, dass ich mich nicht verurteilt fühlen muss. So darf der Mensch in einer Situation eine arbeitende Marta sein, die die Arbeit gewählt hat, und in einer anderen Situation Maria. Die Geschichte Maria und Marta ermutigt zu erkennen, dass es immer Spielräume gibt, die spontan wählbar sind. Ich habe eine Wahl, kann mein Leben gestalten und mich für das jeweils Richtige entscheiden.