Vor ca. 130 Jahren veröffentlichte Friedrich Nietzsche sein Werk „Die fröhliche Wissenschaft“. Darin verkündet er, ganz und gar nicht fröhlich, auf einem Markt den „Tod Gottes“: „Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittag eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: ‚Ich suche Gott! Ich suche Gott!’ Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter.Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? … so schrien und lachten sie durcheinander“ (Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, München 1969, S. 166 f.). Nach den Worten des Predigttextes steht Gott auch auf einem Markt. Ungeklärt ist und bleibt, ob die Menschen, zu denen er spricht, an Gott glauben oder nicht.
„Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser!
Auch wer kein Geld hat, soll kommen.
Kauft Getreide und esst, kommt und kauft ohne Geld,
kauft Wein und Milch ohne Bezahlung!“
Der Prophet, den wir den „Zweiten Jesaja“ oder „Deuterojesaja“ nennen, lässt Gott im Bild des Wasserverkäufers auftreten. Gott als Verkäufer auf einem Markt? Gott als Anbieter unter anderen? Geht das? Was hat das zu bedeuten? Wie ist es gemeint? ‚Ich, Gott, wer bin ich? Ich bin ein Wasserverkäufer auf einem orientalischen Markt mit seiner Fülle an Händlern und Anbietern. Ich bin unter denen, die auf dem Markt der Möglichkeiten Glauben mitbringen oder nicht. Der Markt ist riesig. Nein, ich habe mich weder versteckt noch konnte mich jemand verjagen. Ich bin da in allem und mit allem, was mir eigen ist, aber eben – im Prinzip, d. h. auf’s erste – als einer unter anderen. Unübersehbar ist die Zahl der Philosophien und Weltanschauungen, die Hilfe zum Leben anbieten. Unendlich ist die Zahl der Dichter und Künstler, die den Lebenssinn zeigen und Hilfe und Halt bieten wollen. Nicht zu überblicken ist die Menge der psychologischen Ratgeber, die ein Management für Lebenskrisen anbieten, in Trauer, in Erfolglosigkeit, in Problemen von Ehe und Partnerschaft. Ein riesiger Markt.
„Hört doch, hört doch auf mich, höret,
dann bekommt ihr das Beste zu essen…
Neigt euer Ohr mir zu und kommt zu mir,
hört, dann werdet ihr leben.“
Der das Wasser und das Brot des Lebens anbietet, bittet Herz andringend um Gehör, um Annahme seiner Worte. Voller Warmherzigkeit spricht er: Hört doch, hört doch auf mich! Er könnte auch einen anderen Weg gehen. Er verordnet aber nicht, er überlässt die Entscheidung für oder gegen ihn jedem selbst … wie sich der Käufer auf einem orientalischen Markt für oder gegen einen bestimmten Verkäufer entscheidet. Die Stimme Gottes, die es zu hören gilt, ist eingebunden in eine Schrift, die zu lesen und zu hören ist. Wie sie eine Stimme unter vielen ist, so bietet sie sich aber nicht als „Ratgeber“ oder „Wegweiser“ an. Sie preist nicht ihre Vorzüglichkeit. Sie ist nur da. Wie kommt eine oder einer dazu, zu meinen und zu glauben, dass es über Wasser und Brot hinaus noch so etwas wie die „Milch“ oder der „Wein“ für festliche Tage, dass es eben alles, was es zum Leben braucht und es verschönt, dass es das, was den Lebensdurst stillt, bei diesem und keinem anderen Wasserverkäufer gibt? Was sind das für Menschen? Die jüdische Auslegung bezeichnet sie als „demütig“. Ein Rabbi Chanina sagte dazu, dass das Wasser des Lebens von „oben“ wie von einem Berg komme.Wer es aufnehmen will, der müsse „unten“ stehen:
„Wie hoch liegende Wasser von ihrem Ort schließlich zu einem niederen Ort fließen, so bleiben auch die Worte der Weisung nur bei dem bestehen, der von Herzen demütig ist“ (B.M. Zapf). „Demütig“ heißt hier: Ich beende das Suchen und Wählen und Prüfen. Ich stelle diese Worte über mich mein Leben lang und ordne mich ihnen unter. Zum anderen ist eine Entscheidung für diesen einen Wasserverkäufer, für die Stimme, die uns aus der Schrift entgegenkommt, ein Ausdruck von Eigenständigkeit und Mut, ich selbst zu sein. Wer nach rechts und nach links schaut, ob auch andere glauben, bei diesem Wasserverkäufer das zu finden, was zum Leben gebraucht wird, wird bald weiter gehen. Menschen, die dem tollen Menschen nahe stehen und es dezidiert ablehnen, hier zu kaufen, bilden die große Menge neben und um ihn. Der Käufer/ die Käuferin auf dem Markt muss sagen: Ich, ich entscheide mich. Ich hebe den Kopf, laufe nicht mit, wo die meisten hinlaufen. Ich beharre auf meiner Entscheidung und meinem Weg.
Die Klage des Wasserverkäufers nach Deuterojesaja hieß: „Warum bezahlt ihr mit Geld, was euch nicht nährt und mit dem Lohn eurer Mühen, was euch nicht satt macht?“ Sie spiegelt die Situation der Menschen in Jerusalem wieder. Sie hingen an allen möglichen Bildern und Weisheitslehren und Götzen, geben dafür Geld aus, wurden aber davon „nicht satt“. Sich zu erheben, weg zu gehen von der Zeitungslektüre, aufzustehen vom Fernsehprogramm, sich los zu sagen von trivialer Literatur und in der Stille die Stimme der Schrift zu hören, ruht allein auf der Erkenntnis, dass dieses Wasser und dieses Brot und nichts sonst es ist, dass zum Leben führt. Wer sich für diesen Wasserverkäufer, den Gott der Schrift, entscheidet, bei dem werden nicht über Nacht Wunder geschehen. Er wird nicht verwandelt und verzaubert. Er spürt aber, je treuer er dieses eine Wasser trinkt, wie er es braucht und wie es ihm gut tut.
„Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser!
Auch wer kein Geld hat, soll kommen,
Kauft Getreide und esst, kommt, kauft ohne Geld,
kauft Wein und Milch ohne Bezahlung!“
Der Wasserverkäufer will kein Geld. Das kommt uns auf den ersten Blick sehr vertraut vor, und nicht wenige Ausleger meinen, hier bereits im Alten Testament das „allein aus Gnade“ des Neuen Testamentes zu erkennen. Ich finde, dass der Text nur auf den ersten Blick hin so zu verstehen ist. Wenn der Wasserverkäufer Gott ist, wenn es seine Gottes ureigenste Gaben sind, das Wasser des Lebens, das Brot, das vom Himmel kommt, die Milch, die die Seele stärkt, der Wein, der das Herz wie kein anderer erfreut, so können wir das ohnehin nicht bezahlen. Womit sollte ein Mensch das Leben selbst, das Gott ihm durch seine Worte schenkt, vergüten können? ‚Ich gebe euch das Wasser des Lebens umsonst, weil ihr seine eigentliche Wirkung an euch nicht begleichen, nicht wieder gut machen könnt. So kostbar ist mein Wasser, dass es unbezahlbar ist.’ Unbezahlbar ist es, wenn ein Mensch das erfährt, was Christus im Wochenspruch den „Mühseligen und Beladenen“ verheißt: ihnen eine Sabbatruhe zu schenken, die stärker ist als ihre Mühseligkeit.
Mit nichts auszugleichen ist es, wenn über dem Empfang von Brot und Wein eine Kraft in das Innere eines Menschen einzieht, die ihn von seinem Egoismus weg trägt. Mit keinem Gut, was Menschen vorweisen, ist es möglich, zu vergüten, wenn ein Bibelwort so stark wird, dass darüber der Weg der Egalität und Anpassung verlassen wird und ein Mensch seinen ureigensten Weg findet. Unbezahlbar ist es, wie alle wirklich großen Dinge unseres Lebens, wie der norwegische Dichter Arne Garborg sagte: „Kaufen kann man sich: Essen, aber keinen Appetit; Arznei, aber keine Gesundheit; weiche Kissen, aber keinen Schlaf; Glanz, aber keine Behaglichkeit; Bekannte, aber keine Freundschaft. Die Hülle all dieser Dinge kann man für Geld erlangen, den Kern aber nicht.“