Predigt

Whistleblower

Reformationstag – Hoffnung, deren Energie die Liebe ist

PredigttextGalater 5, 1-6
Kirche / Ort:Hamburg
Datum:04.11.2012
Kirchenjahr:22. Sonntag nach Trinitatis
Autor:Pastor Christoph Kühne

Predigttext: Galater 5, 1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und laßt euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden laßt, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden läßt, daß er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. 5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muß. 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Eigene Übersetzung Christoph Kühne:

1 Zur Freiheit hat uns Christus ein für allemal befreit! Also haltet stand, und lasst euch nicht schon wieder unter das Joch der Bevormundung spannen! 2 Seht, ich Paulus, sage euch hiermit: Solltet Ihr Euch beschneiden lassen, nutzt Euch Christus gar nichts! 3 Noch einmal: Jeder, der sich beschneiden lässt, ist verpflichtet, das ganze Gesetz zu halten (Var nach Matth 5,17: zu erfüllen)! 4 Dann habt Ihr Christus verloren, wenn Ihr Gesetz und Gerechtigkeit verbinden wollt. Ihr seid außerdem aus der Gnade herausgefallen! 5 Wir hingegen bleiben an der Hoffnung der Gerechtigkeit dran! Das ist unser Grundsatz. 6 Aber eigentlich gilt in Christus weder eine (jüdische) Circumcisio (Beschneidung) noch ein (heidnisches) Präputium (Vorhaut), sondern nur der Grundsatz der Hoffnung, deren Energie die Liebe ist.

Zum Predigttext (I.) und zur Predigt (II.)

I. Der Galaterbrief ist der zweitälteste bekannte Brief des Apostels Paulus, geschrieben Anfang der 50er Jahre in Ephesus, wo Paulus zwei Jahre lang gewohnt hat. Wochen oder auch Monate später wird er Briefe an die Gemeinde in Korinth schreiben. In diesen Briefen wird er jenes „en Christō“ weiter meditieren. Unsere Perikope ist gut überliefert. V 5 ist nicht leicht zu verstehen: Ist die „Hoffnung der Gerechtigkeit“ später in dem Brief an die Römer deutlicher ausgeführt als Sehnsucht der gesamten Kreatur nach Hoffnung (Röm 8, 23ff)? V 6 formuliert Paulus sehr kurz und schön, wie die „Energie“ des Glaubens als Liebe wirksam wird.

Stichworte: - Freiheit - Gesetze, Regeln, die kein sinn-volles Leben fördern - „erhoffte Gerechtigkeit“ - Grundsatz Glauben mit dem Kennzeichen Liebe.

II. Gedanken beim ersten Lesen: Briefstil. Gedrängte Gedanken. Zum Beschluss eine Mitteilung wie eine Faustformel: „en Christō“, eine Formel, die Paulus wohl in Ephesus entwickelt und meditiert hat. Zu Beginn ein ermutigendes, stolzes und selbstbewusstes „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“. Das klingt nach!

Der Eingangssatz der Perikope „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ ist ein Fanal der Reformation Luthers, deren Beginn mit den Hammerschlägen an die Wittenberger Schlosskirchentür verbunden wird. Die 95 Thesen läuten eine Befreiung von dem Joch der Gerechtigkeit durch Gesetzeserfüllung ein. Sie propagieren eine Freiheit des Christenmenschen für ein neues Leben im Grundsatz der Hoffnung, deren Energie Liebe ist. Daraus entstand eine neue „protestantische“ Mitwirkung und Einmischung in Politik und Gesellschaft. Glauben und Tun waren fortan nicht mehr getrennt sondern haben sich gegenseitig definiert: Wer „in Christus“ („en Christō“) ist, lebt aus einer anderen Quelle inmitten dieser Welt. Er lebt aus einer neuen Hoffnung. Ein neuer Geist lebt in ihm, dessen Energie Liebe ist. Das Tätigkeitsfeld ist diese Welt mit ihren Aufgaben und Verpflichtungen und Möglichkeiten. Diese Gedanken der Reformation können in der Predigt eine Rolle spielen.

Ein weiterer Gedanke für die Predigt ist die „herrliche Freiheit der Kinder Gottes“, die sich in einer neuen „Begeisterung“ zeigen kann. Die Freiheit von alten Formen erstarrter gottesdienstlicher Rituale kann sich zeigen in charismatischen Predigten und enthusiastischen Gospel Chören, die Menschen in ihren Bann ziehen und zu spontanen Bekenntnissen für Jesus bewegen können. Erhobene Arme, entrückte Gesichter und lallende Lippen sind nicht selten Kennzeichen einer Begeisterung freier Gemeinschaften. Doch woran kann man die christliche Freiheit ablesen? Am Begeisterungspegel der Gottesdienstteilnehmenden? Wie hängt diese Freiheit, von der Paulus spricht, mit Emotionen zusammen? Wie kann man diesen Geist z.B. in einem Gottesdienst messen? Kann man etwas für diese Begeisterung tun, kann man sie üben? Oder kommt der Geist der Freiheit über die Menschen wie weiland zu Pfingsten? Ist also Geist unverfügbar?

Ein dritter Gedankengang kann sich darauf richten, inwieweit jene Freiheit sich zeigen kann in heutigen modernen Techniken und Methoden, die mit alten Handhabungen nicht mehr zu händeln sind. Zu denken wäre z.B. an neue communities wie Facebook. Kann sich die neue Freiheit auch in Graffitis äußern oder in neuer Musik? Zeigt sich der neue Geist im Zerbrechen alter Strukturen von Kirchen, Parteien, Vereinen, Staaten? Wie können wir als Christen auf solche Phänomene eingehen?

Viele Menschen befinden sich zwischen dem Alten und dem Neuen. Sie wagen es nicht, vertraute Kulturgüter zu verlassen und haben Angst z.B. vor der neuen digitalen und virtuellen Welt. Wie ist es, in diesem „Zwischen“ zu leben? Was bedeutet es, mit Paulus den ersten Schritt in die Freiheit zu tun - und den Zwischenraum zu verlassen? Vielleicht versucht die „Lutherdekade“ zwischen der Würdigung Luthers und der bereits angebrochenen Veränderung der Welt („Reformation“) zu vermitteln und Zeichen zu setzen für den Schritt in das „Semper reformanda“ der Kirche, Gesellschaft und Welt.

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Heinz Janssen
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