„Wo Licht in den Menschen ist, scheint es aus ihnen heraus“
Unser Handeln, Verbessern, Geraderücken sind gefragt
Predigttext | Epheser 5,8-14 |
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Kirche / Ort: | Ev. Kirchengemeinde / Worms-Herrnsheim |
Datum: | 21.07.2024 |
Kirchenjahr: | 8. Sonntag nach Trinitatis |
Autor: | Pfarrerin i.R. Dorothea Zager |
Predigttext: Epheser 5,8-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
Das Leben im Licht
Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich. Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.
Leben durch Licht
Licht brauchen wir alle. Die Pflanzen brauchen die Sonne. Ohne Sonne gäbe es weder das zarte Grün der Birken noch das dunkle Grün der Buntnesseln. Es blühten keine Blüten und es wüchsen keine Früchte. Denn das Licht der Sonne sorgt für die Photosynthese, für Wachsen und Reifen. Für das Leben der gesamten Schöpfung
Wir Menschen brauchen Licht. Schon allein unser Körper braucht die Sonne. Licht sorgt für die Synthese von Vitamin D, das für die Knochen gebraucht wird. Kindern ohne genügend Licht drohen Entwicklungsstörungen wie die Rachitis, die sogenannte „englische Krankheit“. Diesen Beinamen hat sie aufgrund des Schicksals vieler mangelernährter und im Dunkeln gehaltener Kinder in den frühindustriellen Städten Großbritanniens. Deren Knochen waren weich, gekrümmt und im Wachstum verlangsamt.
Jedoch braucht nicht nur unser Körper das Licht. Auch unsere Seelen. Wenn ich Sie frage: „Welchen Monat magst Du am wenigsten?“, bekäme ich voraussichtlich ganz ähnliche Antworten: den Februar und den November. Ich selbst würde auch so antworten! Die Monate würde ich am liebsten überspringen. Die sind so grau, so nass, so kalt und so trüb.
Wenn es draußen wochenlang trübe ist, es regnet oder Nebelschwaden über die Gärten ziehen, hat das auf die meisten von uns enormen Einfluss: Wir fühlen uns antrieblos und lustlos. Wenn hingegen die Sonne scheint, erhellt sie auch unsere Gemüter: Die Blätter der Bäume leuchten, die Farben der Blüten strahlen, ja sogar die Vögel singen bei Sonnenschein lauter. Und wir machen es den Pflanzen und Vögeln nach: Wir entwickeln wieder Lebensfreude und Tatendrang. Wir fühlen uns wie neugeboren. Nicht von ungefähr nennen wir daher neu erblühende Hoffnung in schwieriger Zeit den Silberstreif am Horizont.
Freude durch Lichtmenschen
Wir brauchen nicht nur das natürliche Licht, damit unsere Körper und unsere Seelen glücklich sind. Und wir brauchen mindestens ebenso sehr Menschen, die für uns wie ein Licht sind. „Da geht ja die Sonne auf!“, sagen wir gerne, wenn ein Mensch den Raum betritt, der Freude ausstrahlt, Herzenswärme und Optimismus. Sein Lächeln kann von eben auf jetzt die Atmosphäre verändern: Von trister Stimmung in leuchtende Fröhlichkeit.
„You are the sunshine of my life“ singt Stevie Wonder (1972) in einer seiner schönsten Balladen. Und er sagt seiner Geliebten damit: Ohne Dich geht nichts. Du bist das Licht in meinem Leben.
Ein kleines Kind, dass uns mit seiner Fröhlichkeit und seinem Lachen ansteckt, das uns das Herz erwärmt mit spontanen Küsschen oder Umarmungen, nennen wir unseren kleiner „Sonnenschein“.
Der belgische Theologe Petrus Ceelen beschreibt das so:
„Manche Menschen wissen nicht, wie gut es tut, sie einfach nur zu sehen.
Manche Menschen wissen nicht, wie tröstlich ihr gütiges Lächeln ist.
Manche Menschen wissen nicht, wie wohltuend ihre Nähe ist.
Manche Menschen wissen nicht, wie viel ärmer wir ohne sie wären. Sie wüssten es, würden wir es ihnen sagen.“
Solche Menschen brauchen wir! Solche Menschen braucht unsere Welt. Heute mehr denn je! Und wer kann solches Licht unter die Menschen bringen?
Die Antwort des Epheserbriefes ist unmissverständlich: Wir! Wir Christen! Wir können nicht nur Licht unter die Menschen bringen, sondern wir sollen es auch: Das lesen wir im Epheserbrief Kapitel 5,8-14 – unserem heutigen Predigttext:
„Ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist, und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf. Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich. Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten“.
Ephesus und die Gefahr der Dunkelheit
Von der antiken Stadt Ephesus existieren heute nur noch Ruinen. Zu Beginn unserer Zeitrechnung jedoch zählte sie zu den Großstädten Kleinasiens und galt zudem aufgrund ihrer günstigen Lage an der Ägäisküste als das wichtigste Handelszentrum des Mittelmeers.
Zahlreiche Tempel zeugten nicht nur vom Wohlstand der Stadt, sondern auch von einem regen religiösen Leben. Der prächtige Bau zu Ehren der römischen Göttin Artemis wurde sogar zu den sieben Weltwundern gezählt. Allerdings blühte in der pulsierenden Hafenstadt auch vielerorts das Laster. Der Handel war geprägt von Habgier und Korruption. Kneipen und Bordelle gab es an fast jeder Straßenecke und darüber hinaus die römischen Theater und Thermen mit ihrer lockeren Kultur und Lebensart.
Diese Verhältnisse hat der Verfasser des Epheserbriefes vor Augen, als er seinen Brief schreibt. Er macht sich Sorgen um die kleine christliche Gemeinde, die erst wenige Jahre zuvor gegründet worden ist.
Manche ihrer Mitglieder, so denkt er wohl, wäre den lockenden Reizen der großen Stadt gegenüber anfällig. Ihnen will er Orientierung geben. „Ihr wart früher Finsternis“, ruft er ihnen zu, „nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts.“ Eine unmissverständliche Aufforderung, sich von schmutzigen Geschäften und anrüchigen Orten fernzuhalten, zumal, wie es weiter heißt, ohnehin alle heimlichen Fehltritte irgendwann ans Licht kommen.
Und um seinen Appell zusätzlich zu untermauern, fügt der Breifschreiber noch einen Spruch aus der österlichen Taufliturgie hinzu: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“ Die Gläubigen von Ephesus sollen sich als Menschen verstehen, die durch die Taufe nicht länger auf ihre Vergangenheit festgelegt, sondern zu einem neuen Leben im Licht berufen sind und befreit. Das hört sich schlüssig an – ist aber im eigenen, konkreten Leben schwieriger als gedacht!
Was sollen wir machen? Wie aber soll das gehen? Wie kann es uns gelingen, mit Licht erfüllt durchs Leben zu gehen und dadurch auch Lichtmenschen für andere zu sein?
Der Dreiklang des Lichtes in unserem Handeln
Und für dieses neue Leben im Licht gibt der Brief nun den Maßstab vor: „Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit“.
Beginnen wir mit der Wahrheit. Wenn wir Kinder des Lichts sein wollen, dann können wir auch alles um uns herum im Licht Gottes betrachten. Im Licht seiner Gebote und seiner Liebe sehen wir dann auch genauer, was nicht passt. Das ist so, wie wenn man mit einer Taschenlampe nach den modrigen Stellen im Gebälk eines düsteren Kirchendaches sucht. Erst wenn das Licht der Taschenlampe drauf fällt, wird klar, wo etwas im Argen liegt. Bei uns selbst und auch bei anderen. Wahrhaftig sein, sehen und erkennen, wo etwas nicht in Ordnung ist, ist also eine der ersten Pflichten für uns als Kinder des Lichts.
Auf die Wahrheit folgt die Gerechtigkeit. Wenn wir mit der „Taschenlampe“ unser Leben ausgeleuchtet haben, und wenn wir zusätzlich mit dem Licht der Liebe Gottes unsere Welt und all ihre Zeitläufte ausgeleuchtet haben, sehen wir sofort: Da ist vieles ganz und gar nicht in Ordnung. Weder bei mir, noch bei den anderen.
Wir leben in finsteren Zeiten. Ob wir am Morgen die Zeitung aufblättern, tagsüber die Nachrichten im Radio verfolgen oder abends vor den Fernsehnachrichten sitzen – es vergeht kein Tag, keine Stunde, in der wir nicht konfrontiert werden mit Bildern des Schreckens, der Zerstörung, des Leidens, denen Männer, Frauen und Kinder ausgesetzt sind. Ob nun in Syrien oder der Ukraine, ob im Gaza-Streifen oder in Niger und Sudan: Menschen sterben bei den Konflikten, fliehen vor der Gewalt, verlieren Familienangehörige, Sicherheit und Heimat.
Da dürfen wir nicht schweigen und schon gar nicht tatenlos zusehen! Wer die Wahrheit erkannt hat, muss auch für sie eintreten. Missstände, die wir aufdeckt haben, bleiben wie sie sind, wenn wir es beim Aufdecken belassen. Unser Handeln ist gefragt, unser Verbessern ist gefragt, unser Geraderücken ist gefragt. Das ist es, was hier mit Gerechtigkeit gemeint ist.
Schweigen wir nicht zu den Lügen, Verzerrungen oder Verschwörungstheorien, die viele Menschen verunsichern, sondern stellen wir sie gerade. Mit Worten der Wahrheit. Schweigen wir nicht zu den Qualen, die Gottes Schöpfung durch uns erdulden muss, sondern schützen und ehren wir sie durch verantwortungsvolles und behutsames Handeln. Schweigen wir nicht zu Hunger, Terror, Krieg und Unterdrückung, unter denen weltweit Millionen Menschen leiden, sondern kämpfen wir mit allen Mitteln, die wir haben, für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.
Über allem aber regiere die Güte. Und das ist, liebe Mitchristinnen und Mitchristen, das wichtigste Moment im Dreiklang des Lichtes. Hüten wir uns davor, zum Ankläger aller Missstände in unserer Welt zu werden und als Besserwisser und Moralapostel an die Menschheit zu appellieren, es endlich besser zu machen. Wir müssen bei uns selbst anfangen. Und wer erkannt hat, wie schwer das ist, in Gerechtigkeit und Wahrheit zu leben, der kann seinen Mitmenschen mit Güte begegnen, nicht mit scharfen Urteilen. Denn wir selbst sind ja genauso wenig perfekt und brauchen Gottes Vergebung genau wie alle anderen. Wie Paulus schreibt (nach Röm 3,23): Es ist hier kein Unterschied: wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten.
Nur weil wir von Gott unendlich viel Güte erfahren haben, sind auch uns unsere falschen Handlungen, unsere fehlgeleiteten Gedanken und unsere unwahren Worte vergeben. Darum werden wir hier ermahnt: Neben aller Wahrheitsliebe, neben allem Kampf um Gerechtigkeit: Bewahrt Euch die Güte im Umgang mit Euren Mitmenschen.
Die Quelle des Lichts
Aber aus eigener Kraft schaffen wir das nicht. Das wissen wir ganz genau – aus der eigenen Lebenserfahrung. Deshalb muss nach aller Ermahnung und Ermutigung gefragt werden: Wie kriege ich das hin, mit Licht erfüllt durchs Leben zu gehen und dadurch auch Lichtmenschen für andere zu sein? Wo hole ich mir dieses Licht her?
Im Epheserbrief hat die Quelle des Lichts einen Namen: unsere Taufe. Durch unsere Taufe sind wir mit Christus verbunden. Unzertrennlich verbunden. Und so, wie wir bei einer Taufe das kleine Taufkerzchen am großen Licht der Osterkerze entzünden, so sind auch wir für unser ganzes Leben lang am Licht Jesu Christi entzündet und werden selbst zu kleinen Lichtern – zu Kindern des Lichts. Um dieses Lichtbild aufzulösen heißt das ganz konkret:
Weil Gott uns liebt, können wir die Liebe weitergeben; denn Gottes Liebe in uns geht nie zur Neige.
Weil Gott uns unsere Verfehlungen vergeben hat, können auch wir verzeihen; denn Gottes Gnade hat nie ein Ende.
Weil wir aus Gottes Güte allein leben, können auch wir Güte und Herzenswärme weiterschenken.
Vergraben wir also nicht das Licht der Liebe Gottes in uns. Lasst uns Lichtmenschen werden – Menschen, die Gottes Licht in sich spüren und es hineintragen in unsere oft so kalte und dunkle Welt. Albert Schweitzer, der große Theologe, Bach-Interpret und Urwaldarzt, hat es einmal so gesagt: „Wo Licht in den Menschen ist, scheint es aus ihnen heraus“.