Ziemlich beste Freunde
Jesus und Johannes
Predigttext | Matthäus 11,2-10 |
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Kirche / Ort: | Karlsruhe-Knielingen |
Datum: | 17.12.2023 |
Kirchenjahr: | 3. Sonntag im Advent |
Autor: | Pfarrer Professor Dr. Wolfgang Vögele |
Predigttext: Matthäus 11,2-10:
Da aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Als sie fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk über Johannes zu reden: Was zu sehen seid ihr hinausgegangen in die Wüste? Ein Schilfrohr, das vom Wind bewegt wird? Oder was zu sehen seid ihr hinausgegangen? Einen Menschen in weichen Kleidern? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. Oder was zu sehen seid ihr hinausgegangen? Einen Propheten? Ja, ich sage euch: Er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist's, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.
Reden wir über Männerfreundschaften, beste Kumpel. Buddies aus der Schule treffen sich einmal in der Woche zum Kicken. Im Sommer gehen sie eine Woche lang campen und angeln. Beim Lagerfeuer öffnen sie eine Dose Bier und versichern sich, daß sie sich nie besser verstanden haben. So entsteht ein Kompaß fürs Leben.
I
Männerfreundschaften faszinieren im Rampenlicht, in der Karikatur und im politischen Geschäft. Mick Jagger und Keith Richards, John Lennon und Paul McCartney schrieben einen Hit nach dem anderen. Asterix und Obelix verprügeln römische Legionäre und feiern das mit Zaubertrank und gebratenem Wildschwein. Helmut Kohl in der Strickjacke und Michael Gorbatschow im Pullover besiegelten in einer Datscha in einem kaukasischen Dorf die deutsche Einheit und verblüfften so Kompanien von Krawatte tragenden Beratern. Winnetou und Old Shatterhand, der Indianerhäuptling und der weiße Mann, schlossen Blutsbrüderschaft, um die Geldgier der weißen Kolonisten zu bekämpfen. Und das Bild von den Blutsbrüdern leuchtet noch, obwohl woke Ideologen es nicht mehr für politisch korrekt halten.
Ich weiß, daß die Bilder kitschig und idealisiert sind. Und sowieso: Ein leicht mißgünstiger, oberflächlicher Feminismus spielt im Moment Männerkumpanei gegen Frauenfreundschaften aus. Männer hätten kein Verhältnis zu ihren Gefühlen und können schon gar nicht darüber reden. Beste Freundinnen haben beim Cappuccino keine Geheimnisse voreinander, das Vertrauen kann niemals gebrochen werden. Freundinnen können über ihre Gefühle endlos reden, während Männer sich beim Angeln anschweigen, ein Sixpack nach dem anderen öffnen und sich nach dem ersten Herzinfarkt wort- und grußlos aus den Augen verlieren. Psychologen wissen es besser als die Klischeeweisheit: Männer- und Frauenfreundschaften sind je für sich zu betrachten. Beziehungen zwischen besten Freundinnen beruhen auf Vertrauen und Gesprächen. Beziehungen zwischen besten Freunden beruhen auf Loyalität und gemeinsamen Unternehmungen oder Lebenserfahrungen, beim Angeln, beim Zelten, beim Grillen, beim Fußballspielen. Von da aus ergeben sich tiefgreifende Unterschiede.
Johann Wolfgang von Goethe zeltete nicht und spielte auch nicht Fußball, aber er war mit seinem Dichterfreund Friedrich Schiller auf eine Weise verbunden, daß er Schillers vorzeitigen Tod als Katastrophe für sein Leben ansah. Er schrieb später in einem Brief: „Ich dachte mich selbst zu verlieren, und verliere nun einen Freund und in demselben die Hälfte meines Daseins.“ Trotzdem besuchte Goethe, der den Tod scheute, nicht die Beerdigung seines Freundes. Viele haben ihm das übel genommen.
II
Auch in der Bibel finden sich Männerfreundschaften: Der spätere König David ist Absalom, dem Sohn Sauls, so zugetan, daß man immer wieder vermutet hat, beide seien über die Freundschaft hinaus eine homosexuelle Beziehung eingegangen. Die Jünger und später die Apostel waren ein Freundschaftsbund, der nur aus Männern bestand, besonders im Johannesevangelium. Wenn die Männerfreunde in der Bibel zusätzlich Brüder waren, wurde es besonders schwierig. Die Freundschaft zwischen Kain und Abel endete in einem Brudermord. Die Zwillinge Jakob und Esau brauchten sehr lange, bis sie sich nach Verrat, Flucht und jahrelangem Exil wieder versöhnten.
Auch Jesus von Nazareth und Johannes der Täufer waren in einer Art Männerfreundschaft verbunden. Die Evangelien kehren zu dieser Beziehung wiederholt zurück. Lukas erzählt ausführlich von der Beziehung der beiden Mütter Maria und Elisabeth. Die ungeborenen Babies „hüpfen“ (Lk 1,41) im Bauch der Schwangeren, als sie sich das erste Mal begegnen. Die Evangelisten erwähnen diese Beziehung zwischen Johannes und Jesus so häufig, daß das als historisch gesichert anzunehmen ist: Der Prediger aus Nazareth und der Prediger in der Wüste kannten sich.
Die Glaubenden hat es fasziniert, deswegen haben es Maler immer wieder dargestellt. Unzählige Bilder zeigen Jesus und Johannes als kleine Kinder, Johannes meist älter als Jesus. Sie spielen miteinander, sie lachen und scherzen, sie tollen herum, liebevoll umsorgt von Maria und Elisabeth, den Müttern im Hintergrund.
Bei Matthäus, im Predigttext sind Jesus und Johannes schon erwachsen. Ihre Männerfreundschaft zeigt sich daran, daß sie nicht miteinander, sondern übereinander reden. Denn Johannes sitzt schon in einer Gefängniszelle. Wie ist diese Männerfreundschaft zu beschreiben? Kinderspiel kann es nicht mehr sein. Auch kein Bier, kein Grillen, kein gemeinsames Poolbillard. In der vertieften Männerfreundschaft der Prediger knüpfen Glaube, Bekenntnis und Geist ein besonderes Band. Deswegen will ich wenigstens hinweisen auf das berühmteste Bild, das die Beziehung zwischen dem Täufer und dem Gekreuzigten anschaulich macht. In Colmar im Elsaß ist im Museum Unterlinden der Isenheimer Altar Matthias Grünewalds zu sehen. Er zeigt auf einer der beiden Haupttafeln den leidenden Jesus, der am Kreuz hängt. Darunter steht Johannes der Täufer, der mit dem Finger auf den Leidenden zeigt. Um das besonders herauszustreichen, hat der Maler den zeigenden Finger über die Grenze des anatomisch Angemessenen hinaus vergrößert. Historisch paßt das nicht: Als Jesus gekreuzigt wird, ist Johannes längst hingerichtet. Auf dem Bild ist keine Männer- oder Jungsfreundschaft mehr zu sehen, wie auf den vielen Tafeln der spielenden Kleinkinder Johannes und Jesus. Aus der Männerfreundschaft ist ein Verhältnis der Unterordnung geworden. Deswegen steht auf Grünewalds Tafel in lateinischer Sprache ein Zitat aus Joh 3,30 zu lesen: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen.“
Nimmt man den Predigttext aus dem Matthäusevangelium hinzu, so zeigt sich, daß die Verhältnisse von Unter- und Überordnung noch komplizierter sind. Johannes unterwirft sich einem hingerichteten Menschen, den andere verurteilt, gefoltert haben. Nun sind sie dabei, ihn zu töten. Und im Predigttext läßt Johannes aus dem Gefängnis heraus fragen, in welcher geistlichen Funktion sich der Prediger aus Nazareth beschreiben würde. Dann folgen Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Jesus zieht durch galiläische Städte und Dörfer; er predigt und heilt. Johannes predigt in der Wüste. Jesus predigt das Evangelium für die Armen, Johannes predigt in der Wüste gegen die Reichen und Mächtigen. Jesus wird leidend den Tod am Kreuz sterben, Johannes wartet in der Zelle auf seine Hinrichtung. Und am folgt wieder diese Zuordnung, die derjenigen auf der Altartafel Matthias Grünewalds ähnelt. Johannes ist mehr als ein Prophet. Er ist kein Jünger. Johannes bereitet den Weg Jesu vor. Mit seiner Predigt hilft er den Menschen, sich auf den Glauben einzustellen. Er wird zum Wegbereiter, wie der Evangelist Matthäus schreibt. Johannes der Täufer benötigt nicht Gleichberechtigung und Augenhöhe. Die theologische Männerfreundschaft der beiden setzt ganz eigene Akzente.
III
Es hat sich eingebürgert, sich allein auf die Person Jesu zu konzentrieren, wenn man nach Zeichen für Gottes Gegenwart fragt. Aber diese zeigt sich nicht nur in der Person, sondern darüber hinaus in seinem Denken, Sprechen und Handeln. Blinde, Taube, Besessene werden geheilt. Jesus schlichtet Streit. Er predigt. Gottes Gegenwart zeigt sich daran, wie er auf die Menschen wirkt, wie er zärtlich, rücksichtsvoll und mit allem Respekt auf Augenhöhe behandelt. Gottes Gegenwart erreicht die Menschen über das Sprechen und Handeln Jesu. Das ist es, was die Jünger, Maria Magdalena, den Zöllner Zachäus und den blinden Bartimäus, alle miteinander fasziniert und zum Glauben bringt. Gottes Gegenwart ist nicht nur punktuell in der Person Jesu zu finden. Seine Spuren lassen sich auch in der Wolke an Glaube und Gutem entdecken, die sich um ihn herum gebildet hat. Und in diese Wolke gehört auch Johannes der Täufer. Die Predigten von beiden ähneln sich. Beide rufen die Menschen zur Buße. Und sie werden beide hingerichtet. Eine Glaubensfreundschaft mit Parallelen.
Johannes, der Täufer, der als Gefangener in der Zelle zu sehen ist, drängt sich nicht in die erste Reihe der Öffentlichkeit vor. Er nimmt sich zurück, bescheidet sich, sucht nicht das grelle Licht öffentlicher Aufmerksamkeit. Ich bin im übrigen überzeugt, das gilt auch für Jesus selbst. Sein Predigen und seine Heiltätigkeit geschehen sozusagen zwecklos. Er spielt sich nicht als geistlicher Entertainer oder Alleinunterhalter auf. Und man darf das durchaus als Kritik an allem weihnachtlichen Blendwerk und Budenzauber lesen und hören.
Johannes läßt Jesus die Frage stellen: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ So sehr der Zusammenhang zwischen Advent und Warten in allen möglichen Morgenandachten und Zeitungskommentaren zu Tode geritten wurde, so hat er doch sein wahres Moment, das im Glauben ergriffen sein will. Warten verändert die Glaubenden im tiefsten Innern. Wenn der ICE nicht pünktlich am Bahnsteig einläuft, steigert das Ungeduld und Drängelei. Das Warten auf den, der da kommen soll, eröffnet Geduld und Hoffnung. Es führt über das sterbliche Leben hinaus in ein Leben, das Jesus Gottes Reich genannt. Niemand weiß, wie dieses Reich aussieht. Aber das eine sollte gewiß sein, daß es ein Reich ist, in dem der Tod nicht mehr herrscht. Und dieses Warten schenkt neue Hoffnung. Es reicht über das Warten auf den verspäteten Zug, das Worten auf die Geschenke am Heiligen Abend und das Warten auf die Eröffnung des Weihnachtsmarkts vor dem Ersten Advent weit hinaus.
Warten ist die eine Seite der Zukunft des Glaubens. Die andere besteht darin, sich vorzubereiten. Warten und Vorbereitung gehören zusammen wie zwei Seiten einer Medaille. Früher, vor Weihnachtsmärkten, Lametta und Glühwein war Advent eine Zeit der Buße. Christen meditierten im Advent darüber, wieso es überhaupt nötig war, daß Gott einen Erlöser und Heiland schickte. Ich will Ihnen nicht die Weihnachtsfreude verderben, schon deshalb nicht, weil sich in jeder brennenden Kerze, in jedem Stück Lebkuchen auch ein kleiner Funke der Freude über die Geburt Jesu ausdrückt. „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“, sagt Jesus. Aber zur Vorbereitung gehört neben aller Freude auch die Besinnung.
Im Predigttext zielt sie auf Jesus und Johannes. Der eine wird zum Bußprediger in der Wüste. Seine Botschaft provoziert, und darum wird er am Ende hingerichtet. Der andere wird zum Prediger und Verkünder des Reiches Gottes. Auch seine Botschaft provoziert. Auch er wird hingerichtet: Er stirbt einen grausamen Tod am Kreuz. Zwischen der Gefangenschaft des Wüstenpredigers Johannes und dem Leiden des gekreuzigten Christus besteht eine innere Verwandtschaft. Beide verweisen aufeinander. Ihre Lebensgeschichten gehen ineinander über. Wir schulden es uns gegenseitig, einander diese Seite von Weihnachten nicht zu verschweigen. Weihnachten ist kein lustiger Film, der mit Glühwein begossen wird und schließlich in eine geschunkelte Polonaise aus festlichen Liedern mündet.
Advent und Weihnachten sind Vorbereitung auf den Weg der Erlösung. Sie bereiten auf einen Weg vor, der aus allem Leiden und aller Verzweiflung am Ende in Gottes Reich führt. Der Täufer auf der Tafel des Isenheimer Altars zeigt nur auf den Gekreuzigten, weil Gott in der Auferstehung sein Leid und seinen Tod überwunden hat. Auf diesem Weg entsteht eine Weihnachtsfreude, die Oberflächlichkeit und Banalität überwindet.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Weihnachtstannen und -pyramiden, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.